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Przemysl, den 15. November 1914,
     am 9. Tag der 2. Belagerung.

Seit dem Sturm auf die Magiera haben wir in unserem Spital einen russischen Hauptmann liegen. Er hat einen schweren Schuß durch Hals und Wange und konnte längere Zeit nicht sprechen.

Neben ihm liegt ein österreichischer Leutnant, den man mit demselben Transport ebenfalls von der Magiera brachte. Er hat merkwürdigerweise fast dieselbe Verwundung wie der russische Hauptmann.

Unsere verwundeten Offiziere sind gut und warm zu dem Russen, und einem von ihnen fiel ein, dem russischen Hauptmann Obst zu schicken. Doch war derselbe noch nicht weit genug, um sprechen oder essen zu können. Er schickte daher das Obst wieder zurück und legte folgenden, mühsam mit Bleistift gekritzelten Zettel dazu.

Liber Kamerad! Ser Dank für köstliches Geschenk. Mir nicht nützen, söne Birne nicht essen können, erst bis mer gesund, viel Dank und Gruß

Dein russischer Hauptmann N. N.     

Einige Wochen später waren der russische Hauptmann und der österreichische Leutnant, die beide fast dieselbe Verwundung bei dem Sturm auf die Magiera davongetragen hatten, auf dem Wege der Besserung. Wie sie wieder sprechen konnten, begannen sie ihre Kriegserlebnisse auszutauschen. Da kamen vor allem die letzten Kämpfe auf der Magiera zur Sprache, wo beide verwundet worden. Und da stellten die beiden zur allgemeinen Überraschung fest, daß gerade sie sich während der letzten Tage des Gefechtes unmittelbar gegenüber gestanden, sich von Stellung zu Stellung

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/80&oldid=- (Version vom 1.8.2018)