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Besonders ausgesetzt ist auch das Garnisonsspital, das am Ende der Slovackigasse, gegenüber dem Friedhof liegt. Dort hat in einem der Krankenzimmer ein russisches Schrapnell durch den Kamin heruntergeschlagen und einem Unglücklichen, der dort war, um gesund zu werden, beide Beine weggerissen.

Man erzählt mir, daß im selben Spital Schwester Irmgard, die Tochter unseres Armee-Oberkommandanten Erzherzog Friedrich, als Pflegerin beschäftigt ist.

Am Friedhof hausen die Schrapnells so arg, daß man, wie es heißt, schon seit zwei Tagen niemand begraben kann und die Leichenzüge gezwungen waren, wieder umzukehren.

Es ist erstaunlich, wie mutig die Bevölkerung hier ist. Kein Mensch läßt den Kopf hängen. Es ist wohl so ein Grenzervolk, das immer auf dem Sprung lebt, immer gefaßt sein muß. Wenn jemand im Festungsgebiet baut, muß er in den meisten Fällen einen Revers unterschreiben, daß er jederzeit, wenn es vom Festungskommando verlangt wird, sein Haus ohne Widerrede sofort und auf eigene Kosten selbst abreißen läßt. Das gilt von vielen Häusern im Stadtbezirk und von allen aus dem Lande. Dort dürfen an manchen Stellen nur Holzbauten aufgeführt werden. Andere Gründe dürfen überhaupt nie verbaut werden. Wir, aus dem sicheren Hinterland, können uns das gar nicht vorstellen, einen solchen Besitz, der jeden Tag in nichts zerrinnen kann! Wir anderen, Schwerblütigen, könnten hier nie zur Ruhe kommen, wir würden nie wagen, unser Herz an unser Haus zu hängen. Wir brauchen sicheren Boden unter den Füßen, Erbeingesessenheit und friedliches Behagen. Und doch baut hier jeder tapfer darauf los.

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/53&oldid=- (Version vom 12.12.2022)