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Osten, lag die bleierne Kuppel auf einem zarten Smaragdhimmel auf, von der Reinheit und Leuchtkraft eines Schirokko-Himmels.

Im Tal unten kauerten die weißen Zeltreihen, die Biwakfeuer umspielten sie mit dünnem bläulichem Rauch, das mitgetriebene Vieh weidete daneben. Hie und da eine kleine Abteilung, die Schanzen aufwarf, ein paar Troßwagen auf der Straße.

Der Krieg ist doch etwas ganz anderes, als ich gedacht hatte. Ich hatte unwillkürlich immer die kämpfenden Menschenmassen der alten Schlachtenbilder vor Augen. Und indessen ist der Krieg, unser heutiger Krieg, das gerade Gegenteil. Er ist nicht der Kampf sichtbarer, sondern der Kampf unsichtbarer Kräfte gegen einander. Die Infanterie liegt eingegraben in den Schützengräben, in den feldgrauen Uniformen so gut wie unsichtbar, die Artillerie schießt auf enorme Entfernungen über einen Hügel hinweg, der sie deckt. Und es kann, wenn es nicht zu einer größeren Kavallerieattacke oder zu einem Bajonettangriff kommt, tagelang Gefechte geben, wo man von den Kämpfenden nichts zu sehen bekommt.

Heute ist der 6. Tag unserer Absperrung, ohne Post, ohne Zeitung. Und es ist ein eigentümliches Gefühl, das niemand sich vorstellen kann, mitten in einem enormen Geschehen zu stehen und nichts — nichts darüber zu wissen! Zu denken, daß jeder, der heute in irgendeinem Nest die Zeitung zur Hand nimmt, mehr über uns weiß, als wir selber!


Przemysl, den 26. September 1914,
     am 9. Tag der Absperrung.

Gestern abends wurde vom Festungskommando ein Radiotelegramm veröffentlicht. Siege in Serbien, die

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/36&oldid=- (Version vom 1.8.2018)