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Ein paar Namen muß ich ihrer Originalität wegen noch festhalten, die ich täglich auf den Schildern lese. Da ist ein Pinkas Stieglitz, ein Rubin Nacht, ein Pechtalt Verständig, Benzion Goldblatt, ein Leisor Gans, Hersch Schipper, Meiloch Klugmann, Baruch Schmalz, David Eisbart usw.

Auf etwas bin ich gespannt. Ob in die bleichen, unbewegten Judengesichter ein warmer Blutstrom der Freude steigen wird, wenn Gott uns siegen läßt! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie diese Gesichter aussehen, wenn sie sich freuen, und ich glaube, man müßte ihnen mit einem Schlag menschlich näher rücken, wenn man sieht, daß die große Glückswelle auch über sie hinschlägt.

Heute spricht man davon, daß geplant ist, den Postverkehr durch eine Automobilverbindung zur nächsten Station der österreichischen Staatsbahn wenigstens teilweise aufrecht zu erhalten. Ich wäre glücklich, wenn sich das bestätigt!

Und noch ein anderes Gerücht verbreitet sich in der Stadt: daß man nachts, wenn alles still ist, den fernen Donner unserer schweren Geschütze hören kann!

Gott helfe unseren Tapferen!


Przemysl, den 21. September 1914.

Heute sind wir den dritten Tag ohne Post und ohne Zeitung. Zu meiner großen Beruhigung heißt es aber, daß Feldpost mit Auto befördert wird, und man hat meine Feldpostbriefe an Mama auf der Post angenommen. Wenn wir auch auf jeden Brief verzichten müssen, ist es mir doch ein großer Trost, Mama nicht ohne Nachricht zu wissen. Gestern sprachen wir mit einem Hauptmann, der mit einer Handwunde vom Felde kam und nun nicht

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)