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sie treten mit ausdrücklich betonter Höflichkeit zurück, um uns Platz zu machen, wie Schwester Mania und ich an ihnen vorbei wollen. Die Kosaken rings herum grinsen breit und gutmütig. Einer zuckt mit den Achseln und sagt etwas aus russisch zu der Spötterin, was genau so klingt wie: „Was geht das dich an?“

Kaltherzigen Hohn kennt nur der Gedankenlose, der nicht weiß, was kämpfen und leiden heißt. Die, die selber bluten und heute nicht wissen, ob sie morgen noch sind, lernen Ehrfurcht vor dem Schmerz.

Kiew, im Mai 1915.

Die Reise hierher gut und bequem. Die russischen Bahnen sind für weite Strecken eingerichtet und so gut ausgestattet, daß man die weiten Entfernungen und die Nachtfahrten kaum spürt. Jeder Platz zweiter und dritter Klasse kann in ein Liegebett umgewandelt werden. So haben wir die ganze Nacht durch fest geschlafen. Auch die Verpflegung ist gut, und man bekommt auf Wunsch das Mittagessen im Wagen.

Die Fahrt hierher trotz der großen Ebene nicht eintönig. Viel blühende Obstbäume, dazwischen Windmühlen und kleine Dörfer mit grünen Dächern. Die ganze Landschaft abgetönt und mattfarbig wie ein blasses Pastell. Auffallend die orthodoxen Friedhöfe, die, von keinem Gitter und von keiner Mauer umgeben, ganz offen im Feld liegen. Man sieht die Gräber kaum vor blühenden Obstbäumen.

Da wir in Paßangelegenheiten hier zu tun haben, bleiben wir einige Tage hier.

Wenn man nicht den vielen Verwundeten in den Straßen begegnete, wüßte man in Kiew wenig vom Krieg. Das Leben in den Straßen ist außerordentlich

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/187&oldid=- (Version vom 1.8.2018)