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herab, daß sie uns ins Gesicht peitschen. Wir sind einen Augenblick eingehüllt in eine Wolke von Pulverdampf, von Pulverstaub geschwärzt, von Astwerk, Schutt und Ziegeln überschüttet. Im Augenblick des Schreckens denke ich an eine Beschießung der Stadt, an eine russische Granate, die unmittelbar neben uns eingeschlagen hat.

Es ist ein Pulvermagazin, das unweit von uns gesprengt wird.

Wir stehen auf einer kleinen Anhöhe mit weitem Horizont. Nach 21 Schnee- und Frosttagen leuchtet an diesem Todesmorgen zum erstenmal wieder die Sonne über der unseligen Feste.

Sie leuchtet der Majestät dieses Todes, dieses stolzen Todes in den eigenen, reinen Flammen.

Die Atmosphäre schwingt und zittert unausgesetzt von den sich unaufhörlich wiederholenden Explosionen. Die Mauern der Häuser erbeben bis in die Grundfesten. Grelle Blitze zischen auf, springen von Mine auf Mine über. Der Horizont ein einziger Flammengürtel, von schweren Rauchschwaden umschwelt.

Was sehen meine Augen so rot —? Siehst du das Blut, das Blut der Hunderttausend, das hier geflossen und das heute zu Flammen wird — ?

Ich denke in dieser Stunde nicht an dich — nicht an mich, nicht an die eigene Gefahr — nicht daran, was die nächste Stunde uns bringen wird — ?

Wir sind beide nur erfüllt von dem einen einzigen, furchtbaren: „Umsonst — !“ —

Um 9 Uhr vormittags übergibt unser Festungskommandant, G. d. I. von Kusmanek, die Festung mit den kurzen Worten: „Die Lebensmittel sind erschöpft. Die Werke sind geschleift. Ich übergebe die offene Stadt und erwarte Ihre Befehle. Bedingungen stelle ich keine.“

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/156&oldid=- (Version vom 9.12.2016)