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Dafür sind tausend gute Einfälle da, die einander übertreffen, tausend warme Herzen, die schenken wollen.


Przemysl, Weihnachten 1914,
     am 48. Tag der 2. Belagerung.

Das Geschützfeuer ist seit Tagen eingestellt, von draußen hört man nichts — nichts.

Jeder geht herum und fragt den anderen, wie es draußen steht. Und keiner weiß etwas zu sagen.

Noch wenige Tage vor Weihnachten haben unsere Verwundeten auf den Entsatz und Abtransport gehofft. Es war nur ein Schrei — nach Hause — heim — heim —.

Und dann haben sie sich mit mehr oder weniger Resignation und Tapferkeit in das Unvermeidliche ergeben.

Wir schmückten zehn Christbäume, für jedes Zimmer einen. Die Bäume waren überreich behangen, lieb und hell in ihrem bunten Schmuck.

Auch für das Zimmer der Hoffnungslosen war ein Baum geschmückt. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie nicht aus ihrem apathischen Hindämmern zu reißen. Aber es war so namenlos traurig, sie allein im Dunkel zu wissen, während in jedem anderen Zimmer die Weihnachtslichter strahlten.

So gingen wir zuerst zu ihnen. Neun Mann lagen in dem kleinen Raum. Wir stellten den Weihnachtsbaum in die Mitte des Zimmers, an das Fußende der Betten, und entzündeten leise die Lichter.

Wir wagten kein Lied. Es war totenstill in dem Zimmer, nur die Wachskerzen knisterten; und ab und zu drang von dem nächsten Bett das schwere Schlucken eines Narkotisierten herüber, dem man zwei Stunden vorher das Bein abgenommen hatte.

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/106&oldid=- (Version vom 1.8.2018)