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Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.)

(Fortsetzung.)

Daher nickte ihm Leutnant Röder jetzt auch aufmunternd zu und fragte freundlich:

„Nun, Brown, was haben Sie denn auf dem Herzen?“

„Ich möchte Herrn Leutnant den Vorschlag machen, ob ich nicht allein der jungen Dame nachreiten dürfte. Ich kenne von meinen Jagdstreifereien die Gegend hier herum ziemlich genau und traue mir wohl zu, Miß Wellerslow auffinden und ungefährdet nach der Station geleiten zu können.“

Der Offizier überlegte nur kurze Zeit.

„Gut, Brown, ich bin einverstanden. Sie haben wohl gehört: Miß Wellerslow ist nach Westen zu davongeritten, wahrscheinlich das ausgetrocknete Flußbett entlang. Hier haben Sie mein Fernglas. Nehmen Sie’s nur mit. Und klettern Sie hin und wieder auf einen Baum. Der Schimmel der jungen Dame ist ja auf weite Entfernung zu erkennen.“




Am Abend desselben Tages lagerten in einer versteckten, von Gestrüpp dicht umgebenen Talmulde, ungefähr drei Meilen südlich von der Station Wohambahe, an einem niedrig brennenden, durch trockene Dornenzweige genährten Feuer die in ein dunkelgrünes, fußfreies Jagdkostüm gekleidete Miß Unverzagt und Tom Brown, der Freiwillige der deutschen Schutztruppe.

Einige Schritte abseits standen zwei Pferde, die unlustig an einem Haufen frisch gerauften dürren Grases herumschnupperten. Dicht neben dem Feuer ruhten außerdem noch zwei kräftig gebaute, glatthaarige Jagdhunde, die immer wieder gierig nach dem saftigen Lendenstück der erst vor wenigen Stunden erlegten Gazelle hinüberwitterten, das an einem Holzspieße über der Glut schmorte.

„Sie meinen also wirklich, Mister Brown, daß wir den Versuch sobald nicht wieder wagen dürfen, uns durch die Herero hindurch nach Wohambahe hineinzuschleichen?“ fragte soeben Alice Wellerslow mit einem tiefen Seufzer.

„Wenn uns unser Leben lieb ist – nein!“ entgegnete der junge Amerikaner ziemlich mürrischen Tones. „Wir können überhaupt Gott danken, daß wir heute nachmittags so mit blauem Auge davongekommen sind. Hätten wir nicht unsere Pferde gehabt, so würden uns die Schwarzen sicher abgefangen haben. Wer konnte aber auch denken, daß die Station von den Herero schon so eng umzingelt war! Und jetzt, wo sie wissen, daß noch zwei Weiße ohne einen sicheren Zufluchtsort hier herumirren, werden sie natürlich doppelt aufmerksam sein. Sie werden sich also wohl schon einige Tage in meiner Gesellschaft langweilen müssen, Miß Wellerslow!“

Alice, die gerade mit ihrem Taschentuch das Schloß ihrer Büchse reinigte, blickte ihren Gefährten erst eine Weile vorwurfsvoll an, bevor sie erwiderte:

„Ich meine, wir beide hätten in unserer Lage doch alle Ursache, Frieden miteinander zu halten. Daß ich gern recht bald mit meinen Verwandten wieder vereint sein möchte, ist wohl leicht zu begreifen. Für eine junge Dame bietet das Kampieren im Freien doch recht viele Unannehmlichkeiten.“

Tom Browns Gesicht hatte sich bei diesen Worten noch mehr verfinstert.

„Spielen wir doch keine Komödie, Alix!“ stieß er erregt hervor. „Nicht Ihre Verwandten sind’s, nach denen Sie sich sehnen, sondern jemand anders, der auch in Wohambahe eingeschlossen ist und für dessen Leben Sie zittern! Versuchen Sie nicht, mir zu widersprechen. Ich hab’s an vielem gemerkt, wer jetzt Ihr Herz besitzt. Umsonst haben Sie heute nicht verschiedentlich nach Oberleutnant von Otting gefragt, wenn auch in möglichst vorsichtig umschriebener Form. Und ich Tor bin Ihnen hier nach Afrika gefolgt, weil ich nach Ihrer Abreise drüben in St. Louis keine Ruhe mehr fand, weil ich hoffte, Sie würden sich hier in der Fremde vereinsamt fühlen und endlich erkennen lernen, welch treues Herz in meiner Brust einzig und allein für Sie schlägt! Ich, der über Millionen zu verfügen hat, bin hier – gemeiner Soldat geworden, nur um in Ihrer Nähe weilen zu können! Und der Erfolg? Gerade zweimal habe ich Sie bisher für wenige Minuten gesprochen! Wissen Sie noch, als ich Sie damals an dem ersten Sonntag nach meinem Eintreffen in Wohambahe zufällig dicht bei der Farm überraschte, nachdem ich schon stundenlang die Besitzung umschlichen hatte! Welche Hoffnung hatte ich an dieses Wiedersehen geknüpft! Und wie bitter wurde ich enttäuscht, wie bitter! Nichts als den hellsten Schrecken las ich in Ihren Mienen, und Ihre Begrüßungsworte waren auch nicht sehr geeignet, mich für die lange Seereise und die untergeordnete Stellung, die ich doch nur Ihretwegen angenommen hatte, auch nur etwas zu entschädigen. Ein anderer hätte sich unter diesen Umständen wohl kaum noch so tief gedemütigt, um eine zweite Zusammenkunft am übernächsten Sonntag, wo ich wieder Urlaub zu erhalten hoffte, so flehentlich zu bitten. Und Sie — Sie sagten weder ja noch nein, ließen mich dann plötzlich stehen und eilten wie von Furien gehetzt dem Garten der Farm zu, wo Ihnen dann — der andere begegnete, wie ich sehr gut beobachtet habe. Das war unser Wiedersehen!“

Der junge Amerikaner lachte bitter auf.

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.). Ignaz Alois Edler v. Kleinmayr, Laibach 1911, Seite 1(Nr.41). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mi%C3%9F_Unverzagt.pdf/7&oldid=- (Version vom 1.8.2018)