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Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.)

(Fortsetzung.)

In derselben Nacht schritt Oberleutnant von Otting auf dem mit einem kugelsicheren Mauerkranz umgebenen flachen Dache der in einem geschlossenen Viereck bastionsartig aus grauen Backsteinen ausgeführten Gebäude von Wahambahe unruhig auf und ab.

Es hatten soeben die Wachen revidiert und den Leuten dabei nochmals größte Aufmerksamkeit eingeschärft. Die schwere Verantwortung, die jetzt auf ihm als dem Kommandanten der von so unerbittlichen Feinden belagerten Feste lastete, hätte ihn sicherlich nicht so sehr gedrückt, wenn er überzeugt gewesen wäre, die Station längere Zeit halten zu können. Aber er wußte ja nur zu gut, das der vorhandene Proviant und die wenigen Stücke Schlachtvieh, die in einer Ecke des quadratischen Hofes untergebracht waren, für die vielen, hier zusammengepferchten Menschen nicht lange ausreichen konnten. Wo sollte er besonders das Futter für die Rinder und die zahlreichen Pferde herbekommen, wo all das notwendige Wasser, da der artesische Brunnen schon jetzt hin und wieder vollständig versagte und die Wasserlöcher in der nahen Schlucht, die sonst als Viehtränke gedient hatten, sich im Besitze der Feinde befanden?

Dabei war ja auf Hilfe von außen vorläufig überhaupt nicht zu rechnen! Hatte er doch vor wenigen Stunden von der nächsten, nach Süden zu gelegene Heliographenstation die Nachricht erhalten, daß sich der ganze Norden in Aufruhr befände.

Mit furchtbarer Deutlichkeit malte er sich schon das Schicksal der in Wohambahe eingeschlossenen Soldaten und Farmerfamilien aus. Nur zu bald würden infolge des Wasser- und Futtermangels die Tiere hinsterben, würde der Typhus mit all seinen Schrecken in diese engen Räume seinen Einzug halten und die kleine Schar der Verteidiger mit unheimlicher Stetigkeit verringern, bis die Station dann eines Tages nichts mehr war als ein verseuchtes Krankenhaus, als ein großes Grab, in das der blutgierige Schwarze widerstandslos eindringen konnte, um auch die letzten hinzumorden, die Typhus und Ruhr noch verschont hatten.

Gewiß – einen Augenblick hatte er wohl daran gedacht, sich nach Süden hin durchzuschlagen. Doch nur zu bald mußte er einsehen, daß selbst dieser verzweifelte Plan so gut wie gar keine Aussichten auf eine glückliche Durchführung bot. Zu endlos war der Weg nach dem nächsten größeren Orte, zu gering seine Truppenmacht, um sich wochenlang mit der Waffe in der Hand die Möglichkeit des Vorwärtsdringens zu erkämpfen. Es blieb eben nichts, nichts anderes übrig, als hier auszuharren!

Und dann noch zu alledem die peinigende Ungewißheit über das Schicksal Alice Wellerslows und Tom Browns, deren mißglückten Durchbruchsversuch am gestrigen Spätnachmittag die ganze Besatzung von Wohambahe, aufmerksam gemacht durch das plötzliche Gewehrfeuer drüben bei den Hereros, mitbeobachtet hatte, ohne den beiden irgendwelche erfolgreiche Hilfe bringen zu können.

Denn der Ausfall, den Leutnant Röder mit einer kleinen Abteilung sofort in jener Richtung unternommen hatte, war von den Herero blutig vereitelt worden. Fünf Mann hatten das Wagnis mit dem Leben bezahlt, und der junge Offizier selbst lag jetzt mit einer schweren Schulterwunde in starkem Wundfieber unten in der Lazarettstube.

Otting umschritt noch immer, von diesen traurigen Gedanken gepeinigt, langsam das Viereck der breiten Bastionsdächer.

Im Osten fing der Tag an zu grauen. Das flimmernde Licht der Sterne verblaßte, und die tiefstehende Mondscheibe wurde zusehends durchsichtiger und verschwommener. Die schwarz-weiß-rote Fahne, die bisher träge an dem Flaggenmast herabhing, bauschte sich plötzlich in der beginnenden Morgenbrise in welligen Falten. Bald wehte sie glatt und an dem Taue zerrend in dem schnell auffrischenden Winde.

Mit einem Male lief eine Meldung, von Mann zu Mann weitergegeben, die aus dem Dache verteilten Posten entlang:

„Starker Feuerschein im Norden!“

Verwundert nahm Otting seinen Feldstecher zur Hand und richtete ihn dorthin, wo jetzt immer deutlicher rötliche Glut den Horizont färbte. Kein Zweifel, das große Dornenfeld dort brannte in seiner ganzen Ausdehnung.

Durch das Glas vermochte er das Umsichgreifen des vom Winde angefachten Feuers genau zu beobachten. Mit Blitzesschnelle huschten die Flammen über die trockenen Spitzen der Dornenbüsche hin, und schon wenige Minuten nach dem ersten Alarmruf wogte da nordwärts ein endloses, wie eine Welle unaufhaltsam vorstürmendes Glutmeer.

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.). Ignaz Alois Edler v. Kleinmayr, Laibach 1911, Seite 1(Nr.44). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mi%C3%9F_Unverzagt.pdf/10&oldid=- (Version vom 1.8.2018)