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Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.)

Miß Unverzagt.
Erzählung von Walther Kabel.
(Nachdruck verboten.)

Auf der etwa fünf Meilen von der Station Wohambahe entfernten Farm Reiwitztal wurde am Sonntag, den 18. Dezember 1903, der Geburtstag der Gattin des Besitzers festlich begangen. Zu dieser Feier waren außer den beiden benachbarten Farmern mit ihren Angehörigen auch die in Wohambahe stationierten Offiziere, Oberleutnant von Otting und Leutnant Röder, erschienen, die ihre dienstfreien Tage zumeist bei der ebenso gastfreien wie liebenswürdigen Familie Reiwitz zuzubringen pflegten, was leicht zu verstehen war, da die Herren auf ihrem verlorenen Posten im Norden der südwestafrikanischen Kolonie den Reiz einer gemütlichen, von zarter Frauenhand geleiteten Häuslichkeit vollständig entbehren mußten.

Die Geburtstagsgesellschaft hatte sich nach dem Mittagessen durch mancherlei Kurzweil im Garten die Zeit vertrieben, wobei jedoch keine rechte Stimmung aufkommen wollte. Auf allen lastete noch immer wie ein dumpfer Druck die Erinnerung an das bei Tisch geführte Gespräch, das sich hauptsächlich um die stetig zunehmende Unbotmäßigkeit und Frechheit des Hererostammes und die Möglichkeit eines baldigen Aufstandes dieses ebenso kriegerischen wie vorzüglich bewaffneten Volkes gedreht hatte. Die Anwesenden wußten leider ja nur zu gut, daß sie im Falle einer Empörung der wegen ihrer heimtückischen Grausamkeit berüchtigten Herero hier, in der von allem Verkehr abgeschnittenen Gegend dicht an der Grenze des Bergdamaralandes, nur auf sich allein angewiesen waren und Hilfe von den größeren Garnisonorten kaum zu erwarten hatten. Zwischen den Farmern und den Offizieren der Station Wohambahe war daher auch genau vereinbart worden, in welcher Weise man sich bei den ersten Anzeichen einer drohenden Gefahr gegenseitig warnen und einander die Flucht nach der kleinen Feste als dem einzigen, einigermaßen sicheren Zufluchtsort erleichtern wollte.

Endlich machte Frau Reiwitz dem zuletzt mit recht mäßigem Interesse betriebenen Krocketspiel dadurch ein Ende, daß sie ihre Gäste zum Kaffee rief, der auf der langgestreckten, von wildem Wein dicht umrankten Veranda eingenommen werden sollte. Es gab als Gebäck einen riesigen Baumkuchen, dessen zackiger, mit weißem Zuckerguß überzogener Turm ein Produkt von Miß Unverzagts jüngst erworbenen Kochkünsten war, wie die Hausfrau lobend erwähnte. Aber vergebens schaute man jetzt nach der jungen Amerikanerin aus, um ihr die wohlverdiente Anerkennung zu zollen. Und erst durch Unia, ein von Frau Reiwitz zum Stubenmädchen herangebildetes, flinkes Hereromädchen, erfuhr man, daß Miß Unverzagt vor wenigen Minuten in den hinter dem Wohngebäude liegenden großen Gemüsegarten gegangen sei, um noch einige Blumen zur Ausschmückung der Abendtafel zu holen.

„Ja, ja – unsere kleine Miß Unverzagt wird hier noch ein recht deutsches Hausmütterchen werden!“ sagte Herr Reiwitz beinahe stolz. „Ich hätte nie gedacht, daß der Wildfang mir so schnell ans Herz wachsen würde,“ fügte er heiter hinzu.

Von allen Seiten wurde die Abwesende jetzt geradezu in den Himmel gehoben, bis Leutnant Röder schließlich lachend meinte:

„Unserer verehrten Miß Unverzagt werden schön die Ohren klingen! Sie verdient diese Lobgesänge aber auch wirklich.“

Alice Wellerslow, wie Miß Unverzagt mit ihrem eigentlichen Namen hieß, war erst vor einem halben Jahr aus ihrer Heimatstadt St. Louis[WS 1] nach Südwest gekommen, um, wie sie jedem, der es hören wollte, mit unbefangener Ehrlichkeit sofort erklärte, hier in der Wildnis für all die kleinen Sünden Buße zu tun, die sie in ihrem Übermut drüben in Amerika begangen hatte. Jedenfalls konnte dieses Schuldkonto nicht ganz klein gewesen sein, da ihr Vater sonst wohl nicht auf die Idee gekommen wäre, sein einziges Kind gleich nach Reiwitztal ins Exil zu schicken. In dem Brief, durch den der alte Herr Wellerslow, ein vielfacher Millionär und Besitzer ausgedehnter Viehzüchtereien, seiner Nichte Luise Reiwitz die Ankunft seines stark exzentrischen Töchterleins angekündigt hatte, schrieb er geradezu, man solle seinen Wildfang, der trotz eines goldenen Herzchens voll von unglaublichen Teufeleien stecke, recht kurz halten und tüchtig bei der Arbeit herannehmen, damit sie endlich begreifen lerne, daß das Leben auch ernste Pflichten und nicht nur Vergnügen und Schabernack kennt.

(Fortsetzung folgt.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: S. Louis
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.). Ignaz Alois Edler v. Kleinmayr, Laibach 1911, Seite 1(Nr.35). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mi%C3%9F_Unverzagt.pdf/1&oldid=- (Version vom 1.8.2018)