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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19

kennen zu lernen, geht man am einfachsten von dem Zustand einer soeben erst durch Teilung entstandenen Z. aus. In einer solchen (Fig. 1) ist das Chromatin nicht in einem „Kern“ vereinigt (wir können von einem solchen auf diesem Stadium, streng genommen, überhaupt nicht sprechen), sondern man findet an dessen Stelle eine Anzahl voneinander getrennter kompakter Chromatinkörper, welche in der

Fig. 1.
Zelle mit vier Chromo­somen und Centrosoma.

Regel die Form von Stäbchen oder Fädchen besitzen und den Namen Chromosomen führen. Figur 1 zeigt deren 4 in Form kurzer, hakenartig gekrümmter Fädchen. Um diese Chromosomen bildet sich nun der Kern in der Weise, daß sich ein Hof von Zellsaft im Umkreis derselben ansammelt, gegen den sich das umliegende Protoplasma durch eine Membran (Kernmembran) abgrenzt (Fig. 2). Das auf diese Weise entstandene Bläschen mit seinem Inhalt ist der Kern. In diesem Kernbläschen vollzieht sich nun, und zwar offenbar als aktiver Vorgang,

Fig. 2.
Zelle mit Kern.

eine beträchtliche Gestaltveränderung der Chromosomen. Dieselben senden (Fig. 2) zarte Fortsätze aus, die sich unter fortwährender Verästelung und Anastomosenbildung immer mehr ausdehnen, bis schließlich das ganze, anfangs kompakte Fädchen in ein feines Gerüstwerk übergegangen ist, das sich mit den in gleicher Weise metamorphosierten übrigen Chromosomen derart verfilzt, daß in diesem sogen. chromatischen Kerngerüst (Fig. 3) der Anteil der einzelnen in seine Bildung eingegangenen Chromosomen

Fig. 3.
Chromatisches Kerngerüst.

nicht mehr nachgewiesen werden kann, obgleich durch Vergleichung mit spätern Studien mit fast völliger Sicherheit hat bewiesen werden können, daß auch in diesem schwammförmigen Zustand jedes Chromosoma seine individuelle Selbständigkeit bewahrt. Der hiermit erreichte Zustand des Kerns bleibt nun unverändert bestehen, solange sich die Z. als solche erhält; er ist der gewöhnliche, der sogen. Ruhezustand des Kernes. Erst wenn sich die Z. anschickt, durch Teilung in zwei Tochterzellen zu zerfallen und es sich also darum handelt, aus dem einen Kern zwei Tochterzellen zu bilden, beginnt der Kern sich wieder zu verändern. Wie vorher jedes Chromosoma sich schwammförmig aufgebläht hat, so zieht es sich jetzt wieder zu einem kompakten Fädchen zusammen (Fig. 4 u. 5), die Kernmembran löst sich auf, der Kernsaft mischt sich mit dem umgebenden Protoplasma, und so findet man schließlich, wie in der neugebildeten Z., vier direkt ins Protoplasma eingelagerte Chromosomen, nur mit dem Unterschied, daß dieselben während ihres gerüstförmigen Zustandes etwa auf das doppelte Volumen herangewachsen sind. Der Vorgang nun, der zur Bildung der beiden Tochterkerne führt, ist ein höchst eigentümlicher. Er besteht im wesentlichen darin, daß sich jedes

Fig. 4. Fig. 5.
Zusammenziehung der Chromosomen und Teilung des Centrosomas.

Chromosoma mit sozusagen mathematischer Genauigkeit der Länge nach in 2 Hälften (Tochterchromosomen) spaltet, von denen die eine der einen zu bildenden Tochterzelle zu teil wird, während die andre in die andre Tochterzelle übergeführt wird (Fig. 6–9). Um diese Verteilung durchzuführen (welcher Prozeß mit dem Namen Karyokinese bezeichnet wird), tritt ein Apparat ins Dasein, dessen Grundlage schon in Fig. 1 zu sehen ist. Man erkennt in dieser neugebildeten Z. neben den Chromosomen ein kleines, stark lichtbrechendes Körperchen, das sogen. Zentralkörperchen der Z. oder Centrosoma, umgeben von einem Hof dichten, körnigen Protoplasmas, das man Archoplasma nennt. Das Centrosoma erhält sich während der ganzen Dauer des Bestehens der Z. als ein außerhalb des Kernes gelegenes selbständiges Zellorgan unverändert bis zur Teilung, wo es zu einer höchst wichtigen Rolle berufen ist. Die erste Vorbereitung zur Zellteilung besteht nämlich darin, daß sich, noch ehe im Kern die Umwandlung des Gerüstes in kompakte Fädchen zu stande gekommen

Fig. 6.
Fadenbildung aus dem Archoplasma.

ist, das bisher einfache Centrosoma in zwei solche Körperchen teilt (Fig. 4). Diese „Tochtercentrosomen“ rücken allmählich auseinander und erweisen sich dabei als Attraktionscentren für das sie umgebende körnige Archoplasma, indem diese zunächst kugelige Masse, der Entfernung der beiden Körperchen entsprechend, sich allmählich in gleicher Richtung streckt, sich dann hantelförmig einschnürt und schließlich, bei genügender Entfernung der beiden Zentralkörperchen, sich in zwei Kugeln spaltet (Fig. 4 u. 5). Während dieses Vorganges vollzieht sich die oben beschriebene Umwandlung des chromatischen Gerüstes und die Auflösung der Kernmembran, und die beiden unabhängig voneinander ablaufenden Prozesse treten jetzt in Beziehung zu einander. Zunächst geht mit den beiden Archoplasmakugeln eine auffallende Veränderung vor. Die Körnchen,

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19. Bibliographisches Institut, Leipzig 1892, Seite 1000. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b19_s1014.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)