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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18

Zeitraum (Jahr) den Getreidekonsum (Getreideverteilungen in Rom), so läßt sich ein annähernder Schluß auf die Zahl der Konsumenten ziehen. Ferner bietet die Kenntnis des Areals sowie der Bodenbeschaffenheit eines Gebietes und die Analogie mit bekannten topographisch übereinstimmenden Ländern die Möglichkeit, ähnliche Bevölkerungsverhältnisse für das erstere vorauszusetzen, falls gleiche Kulturverhältnisse vorliegen, etc. Nun liegen aber nicht immer Zählungen oder Berechnungsdaten unmittelbar vor, sondern häufig nur Angaben der zeitgenössischen Schriftsteller, welche auf diesen erstgenannten Behelfen beruhen. Da jedoch die statistische Methodik und Technik erst in der unmittelbarsten Gegenwart ihre Ausbildung erfahren hat, so darf es schon aus diesem Grunde nicht wundernehmen, wenn die Notizen der Schriftsteller früherer Zeiten bezüglich der Bevölkerungszahlen sehr kritisch betrachtet werden müssen. Dazu kommt noch eine gewisse Naivität hinsichtlich der Bevölkerungszahlen, beliebte Übertreibungen, mangelnder Zahlen- und Rechensinn, welche Eigenschaften wir insgesamt bei ältern Schriftstellern finden, ganz abgerechnet die zahlreichen Abschreibfehler, welche unausweichlich in die Handschriften Eingang finden mußten. So ist es begreiflich, daß selbst die besten alten Zifferangaben, nämlich jene von Thukydides und auch von Xenophon, dann jene von Herodot, Polybios, Diodor, Strabo, Plutarch, Appian, von den römischen Historikern und Annalisten, von den Schriftstellern der spätern Kaiserzeit und den Chronisten des Mittelalters und der frühen Neuzeit erst sorgfältiger Prüfung bedürfen, ehe man ihnen Glauben schenken darf.

II. Die Bevölkerung der griechisch-römischen Welt.

1) Griechenland. Die Bevölkerung Griechenlands scheint schon in der ersten historischen Zeit eine ziemliche relative Dichte besessen zu haben, insbesondere wenn man bedenkt, daß die wirtschaftliche Thätigkeit doch vorwiegend auf den Ackerbau gerichtet war. Damit steht die intensive Kolonisationsthätigkeit in Verbindung, welche wir bis ins 6. Jahrh. v. Chr. bemerken, und der auch der sogen. Trojanische Krieg entsprungen ist; ferner stehen mit dieser relativ hohen Dichte auch die auf Eindämmung der Volkszunahme, die Beschränkung der Kinderzahl etc. abzielenden Bestrebungen und die aus denselben hervorgehenden Unsitten im Zusammenhang. Es scheint, daß bis zum 6. Jahrh. der innere Zuwachs größer gewesen sei als der Abfluß in die Kolonien, und daß es nötig wurde, Getreide zur Einfuhr zu bringen. Mit dem Ende des 6. Jahrh. v. Chr. hören die Kolonisierungen allmählich auf, da das okkupierungsfähige Land immer seltener wird, und es tritt eine Periode starken Volkszuwachses ein. Derselbe wurde hervorgerufen durch den auf die Perserkriege folgenden 50jährigen Frieden, den wirtschaftlichen Aufschwung jener Zeit und das allmähliche Ausbreiten der Sklaverei, welches mit dem 7. Jahrh. v. Chr. beginnt, allerdings aber bis zum 5. Jahrh. v. Chr., außer in Athen, kaum größere Dimensionen annahm. Die Bevölkerung Griechenlands im 5. Jahrh. v. Chr. (432) belief sich, wenn man die Halbinsel, Makedonien und die umliegenden Inseln zusammenfaßt, auf ungefähr 3 Mill. Menschen, wovon etwa 1/2 Mill. auf die Sklaven und 1/2 Mill. auf die Leibeignen in Lakonien, Thessalien und Kreta entfallen sein dürften. Dem Areal von 115,000 qkm gegenüber ergibt dies eine Bevölkerungsdichtigkeit von 26, die allerdings in den einzelnen Gebieten sehr verschieden war. Ihre Verteilung ergibt sich aus folgender Tabelle (nach Beloch).

Griechenland um 432 v. Chr.
Gebiete Areal in 1000 qkm Bevölke­rung Davon Sklaven u. Leibeigne Bevölke­rungsdichte (auf 1 qkm)
(in Tausenden)
Peloponnes 22,3 890 350 (39)
 Argolis 4,2 335 175 78
 Arkadien 4,7 160 34
 Achaia 2,3 75 32
 Eleia 2,7 90 34
 Lakonien und Messenien 8,4 230 175 27
Mittelgriechenl. 9,2 485 170 (53)
 Attika 2,6 235 100 89
 Megaris 0,5 40 20 85
 Böotien 2,6 150 50 58
 Phokis, Doris, Lokris 3,5 60 17
Inseln im Osten 15,5 400 170 (26)
 Euböa 3,6 60 20 17
 Nördl. Sporaden 0,6 10 17
 Kykladen 2,7 130 50 48
 Kreta 8,6 200 100 23
Westgriechenl. 19,7 416 40 (16)
 Ätolien 4,8 60 13
 Akarnanien 1,6 30 19
 Amphilochien 0,5 6 13
 Epirus 10,5 200 19
 Korkyra 0,8 70 40 91
 Übrige Inseln 1,5 50 30
Thessalien 15,8 460 250 29
Makedonien 32,0 400 25 12
Griechenland 114,5 3051 Minimum
1005
(26,6)

Wir ersehen aus dieser Tabelle, daß einzelne Gegenden, z. B. Argolis, Attika, Megaris, Korkyra u. a., eine Dichte besaßen, die wir heute nur in sehr stark bewohnten Bezirken vorfinden. Die Kolonien dürften zur selben Zeit keine wesentlich größere oder kleinere Menschenzahl beherbergt haben als das Mutterland, nur daß in denselben die Unfreien stärker vertreten waren. Das fortwährende Andauern der Volkszunahme wurde auch durch die Wirkungen des Peloponnesischen Krieges nicht gehindert, ebensowenig wie durch die Pest, welche 430–427 vornehmlich in Attika wütete. Dieser natürlichen Zunahme ging eine beträchtliche Vermehrung der Sklaven und Söldner parallel, so daß mit dem 4. Jahrhundert die Gefahr der Übervölkerung drohte und Plato und Aristoteles drastische Mittel zu deren Vermeidung empfahlen. Die Volkszahl zur Zeit Alexanders dürfte größer gewesen sein als im vorhergehenden Jahrhundert und etwa 4 Mill., davon 11/2 Mill. Unfreie, betragen haben. Es wurde von neuem ein Abfluß der Bevölkerung durch Kolonisierung notwendig und Asien als das Land der Zukunft erkannt. Alexander war derjenige, der den Plan zur Ausführung brachte, wodurch er auch sozialpolitisch von Wichtigkeit wird. Nun aber stehen wir vor einem Wendepunkte der Entwickelung. Die jahrhundertelang andauernde starke Zunahme gerät ins Stocken, und man zählte im 3. Jahrh. v. Chr. nur 4,4 Mill. Einw. oder 38 auf 1 qkm. Diese Stockung geht dann mit dem 2. Jahrh. v. Chr. in eine Abnahme über, welche nicht einmal durch die Friedenszeiten unterbrochen wird und bis zur römischen Kaiserzeit andauert, zu welcher sie durch die Kriege noch erhöht wurde. Schon vorher hatte Griechenland viel von seiner Bedeutung eingebüßt, und an seiner Stelle war Alexandria und Antiochia in den Vordergrund getreten. Auch hier wie zumeist

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 18. Bibliographisches Institut, Leipzig 1891, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b18_s0126.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2024)