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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17

den vierten oder dritten Teil ihres Körpergewichts an Pflanzensubstanz aufzunehmen, nach der Art ihrer Nahrungsauswahl in Allesfresser (Omnivoren) und Spezialisten zerfallen; erstere verzehren weichere Pflanzenstoffe verschiedenster Art, während letztere, so besonders Limax maximus und Arion subfuscus, fast ausschließlich von Pilzen sich ernähren. Ein gleiches Verhältnis kehrt auch bei den Schmetterlingsraupen wieder, von welchen eine große Anzahl bekanntlich zu den ganz eigensinnigen Spezialisten gehört und sich dann bisweilen auch von Pflanzen ernährt, die für andre Tiere sehr giftig sind, wie z. B. die Raupen des Wolfsmilchschwärmers von der Wolfsmilch, eine Erscheinung, die als gegenteilige oder reciproke Anpassung bezeichnet wird. Die Schnecken werden von gewissen Pflanzen vor allem durch chemische S. abgehalten, indem deren Säfte Stoffe entwickeln, welche auf den Körper der Schnecken, wie direkte Versuche zeigten, schon in geringer Menge schmerzhaft wirken. Wurden den Schnecken frische und mit Alkohol ausgelaugte Blätter derartiger Pflanzen vorgelegt, so fraßen sie fast ausnahmslos nur die letztern und verschmähten die erstern; besondere Vorliebe zeigten sie dagegen für zuckerhaltige Pflanzenteile. Als chemische Schutzmittel erwiesen sich zunächst die Gerbstoffe, so in Blättern von Papilionaceen, Rosifloreen, vieler einheimischer Holzpflanzen wie auch der Wasserpflanzen. Schlägt man den Gerbstoffinhalt derartiger Blätter durch Kaliumbichromat nieder und behandelt sie darauf mit heißem Wasser, so werden dieselben von den Schnecken verzehrt, während diese die frischen oder bloß mit Wasser und Alkohol behandelten Blattstücke unberührt lassen; auch kann man die süße Lieblingskost vieler Schnecken, nämlich Möhrenscheiben, durch Imprägnierung mit 1proz. Gerbstofflösung für die Tiere ungenießbar machen. Auch der Gehalt an saurem oxalsaurem Kali in Rumex-Blättern, Ausscheidung saurer Exkrete aus den Haaren von Oenothera und Epilobium oder von ätherischen Ölen (in Blättern bei Ruta- und Mentha-Arten) oder Drüsen (Geranium Robertianum), Bitterstoffen in Blättern von Menyanthes und Gentiana, endlich auch die sogen. Ölkörper der Lebermoose bilden ausgezeichnete S. gegen Schneckenfraß; auch hier konnte Stahl in jedem einzelnen Fall durch Auslaugung der betreffenden Substanz aus den als Schneckennahrung benutzten Blattstücken den Beweis erbringen, daß nur das Vorhandensein des charakteristischen, dem Geschmack der Schnecken widerlichen Stoffes die Immunität des damit versehenen Pflanzenteils bewirkt. Als mechanische S. gegen Schneckenfraß erweisen sich manche Borstenhaare, z. B. von Symphytum officinale, obgleich zahlreiche andre mit Borsten oder Stacheln versehene Pflanzen in stärkerm oder geringerm Grad von Schnecken benagt wurden. Im allgemeinen zeigte sich die Regel als durchgreifend, daß Pflanzen mit glatter, den Schnecken leicht zugänglicher Oberfläche den letztern durch die Beschaffenheit der Säfte widerstehen, und daß umgekehrt den Schnecken im Geschmack zusagende Pflanzen durch mechanische S. ihnen schwer zugänglich gemacht werden. Besonders sind es die mit kleinen Höckern und Knötchen versehenen Borsten, die sogen. Feilhaare, welche auf die Weichteile der Schnecken höchst unangenehm wirken. Auch stark verdickte und verkieselte Vorsprünge auf den Oberhautzellen von Campanula-Arten, die Verkalkung von Haaren und Borsten bei Kruciferen und Umbelliferen, die Verkieselung der Zellmembran bei Gräsern und Riedgräsern bilden eine vortreffliche Schutzwehr; wurden z. B. aus Wasserkulturen in kieselfreien Lösungen herstammende Blattstücke von sonst kieselsäurereichen Gräsern den Schnecken vorgelegt, so verzehrten sie dieselben mit Leichtigkeit. Auch Schleiminhalt der Pflanzenzellen und Gallertüberzüge, letztere besonders bei Algen, halten die Schnecken ab. Eins der ausgezeichnetsten Schutzmittel bilden endlich die Raphiden, d. h. die Gruppen- und Haufwerke sehr kleiner, äußerst fein zugespitzter Kristallnadeln von oxalsaurem Kalk, welche in Schleim eingebettet in den Zellen zahlreicher Pflanzen vorkommen und die in Pflanzensäften, z. B. den von Arum maculatum, auch dem menschlichen Geschmack durch schmerzhaftes Brennen sehr widerlich sind. Wurden Raphiden führende Blätter mit Alkohol ausgelaugt und den Schnecken vorgelegt, so fraßen sie dieselben nicht, weil die Kristallnadeln durch diese Behandlung nicht verändert werden; wurden letztere dagegen durch Salzsäure zerstört und die Säure wieder durch geeignete Behandlung entfernt, so wurden derartig von Raphiden befreite Blattstücke anstandslos von den Schnecken verzehrt. Durch die genannten S. sind die Blätter von Arum maculatum, Scilla maritima und andrer Liliaceen, ferner von Amaryllidaceen, Orchideen, Onagraceen und Ampelideen in ausgezeichneter Weise gegen Schneckenfraß und auch gegen andre Tiere (Kaninchen, Heuschrecken) geschützt. Bei den gegen Schnecken gesicherten Pflanzen tritt nicht selten Häufung von S. oder ein gegenseitiges Vertreten derselben bei verwandten Arten ein; so sind z. B. die Blätter von Sedum boloniense durch Gerbstoff, die des nahe verwandten S. acre (Mauerpfeffer) durch ein brennend scharfes Alkaloid geschützt. Die Pflanzen besitzen häufig in ihren unterirdischen und oberirdischen Teilen ganz verschiedene S., indem z. B. viele Arten von Acacia in den oberirdischen Teilen Gerbstoff enthalten, der aber in den Wurzeln fehlt und dort durch einen stark nach Knoblauch riechenden Stoff vertreten wird. Als völlig ungeschützt gegen Schneckenfraß fand Stahl nur einige Kulturpflanzen (Salat).

Sehr zahlreiche S. gegen tierische Eingriffe entwickeln endlich auch die Blüten, die des Nektars oder zarter Gewebeteile wegen gern von ankriechenden, flügellosen Gliedertieren, wie besonders Ameisen, besucht und teilweise zerstört werden. Als derartige S. gegen unberufene Blumengäste dienen klebrige Blütenstiele, Barrikaden von Haaren, Borsten und Stacheln am Blüteneingang oder in der Umgebung der Blüten, Verschluß des Honigs durch enge Kanäle und viele andre Vorkehrungen. Auch an Früchten und Samen kommen chemische und mechanische S. gegen Beschädigung durch Tiere zur Ausbildung. Vgl. Haberlandt, Die S. in der Entwickelung der Keimpflanze (Wien 1877); Derselbe, Physiologische Pflanzenanatomie (Leipz. 1884); A. Kerner v. Marilaun, Die Schutzmittel der Blüten gegen unberufene Gäste (2. Aufl., Wien 1879); Derselbe, Pflanzenleben (Leipz. 1887); Volkens, Die Flora der ägyptisch-arabischen Wüste (Berl. 1887); Stahl, Über den Einfluß des sonnigen oder schattigen Standortes auf die Ausbildung der Laubblätter (Jena 1882); Wiesner, Die natürlichen Einrichtungen zum Schutz des Chlorophylls der Pflanze (Wien 1876); Derselbe, Biologie der Pflanzen (das. 1889); Kny, Über die Anpassung der Laubblätter an die mechanische Wirkung des Regens und Hagels (Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft, Bd. 3, 1885); Kuntze, Die S. der Pflanzen gegen Tiere und Wetterungunst (Leipz. 1877); Focke, Die S. der Pflanzen gegen niedere Pilze („Kosmos“, Bd. 10, Stuttg. 1881); Stahl, Pflanzen und Schnecken (Jena 1888).

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 745. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b17_s0749.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2023)