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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17

sich am Halm der Gräser dicht über dem Knoten eine Stelle, an welcher die Gewebe in zartwandigem, teilungsfähigem Zustand verharren, und wo daher leicht ein Einknicken durch den Wind erfolgen könnte, wenn dieselbe nicht durch eine Blattscheide mit stark entwickeltem Skelett bedeckt würde. Auch die fortwachsende Wurzelspitze wird durch eine sie überziehende, sich stetig regenerierende Zellenschicht (Wurzelhaube) gegen den Druck des umgebenden Erdbodens geschützt. Ähnliches wird durch Lokalisierung der Bildungsgewebe der Stammspitze unter dicht übereinander schließenden Schutzblättern oder durch Verlegung des kambialen Gewebes der dikotylen Stämme auf den Umkreis eines festen, wesentlich aus Libriform gebildeten Skelettringes unter gleichzeitiger Fortbildung eines äußern Schutzmantels erreicht. Die im Wind flatternden Laubblätter sind gegen die Gefahr des Zerfetztwerdens dadurch gesichert, daß ihre biegungsfesten Skelettteile durch die zahlreichen Gefäßbündelanastomosen, die das Netzwerk in der Blattfläche bilden, fest miteinander verkoppelt werden; am Blattrand, wo die Gefahr des Einreißens am größten ist, finden sich besondere Schutzvorrichtungen in Form verdickter Außenzellwände oder subepidermaler Bastgruppen, deren Querschnitt oft einer Pfeilspitze oder einer Sichel gleicht.

Auch gegen die Stoßwirkung von Regen und Hagel schützen sich die zu einer dünnen Fläche ausgebreiteten Blätter dadurch, daß die zwischen den einzelnen Blattnervenmaschen befindlichen Flächenstücke nach oben konvexe, flache Gewölbe bilden, die sich seitlich an elastische Widerlager, d. h. an die nur unterseits hervortretenden Nerven, anlehnen; der Stoß wird dabei auf die Widerlager übertragen und durch die Elastizität derselben geschwächt. Kny zeigte durch Versuche, bei welchen er Schrotkörner von einer bestimmten Höhe auf ausgespannte Blattstücke herabfallen ließ, daß die mit derartigen Hervorwölbungen versehenen Blätter gegen das Durchschlagen an der Oberseite erheblich widerstandsfähiger sind als an der Unterseite. Auch durch die Teilung der Blattfläche oder durch stark verschmälerte Form und biegsame Beschaffenheit derselben wie bei den Gräsern wird ein leichteres Ausweichen der Blattfläche beim Anprall von Hagelkörnern erreicht.

Eine zweite Reihe höchst bemerkenswerter Einrichtungen entwickeln die Pflanzen zum Schutz gegen eindringendes Wasser. Zunächst werden die meisten jugendlichen Pflanzenteile auf der Außenwand ihrer Oberhautzellen von einer dünnen, für Wasser undurchdringlichen Schicht, der Cuticula, überzogen, welche zugleich die innern Gewebe vor zu starker Verdunstung schützt. Dem gleichen Doppelzweck dienen Wachs- und Korküberzüge; besonders letzterer tritt vielfach da auf, wo das Eintreten von Wasser in das Gewebe, z. B. bei Rhizomen von Wasser- oder Sumpfpflanzen, verhindert oder wo bestimmte Gewebepartien vom osmotischen Saftaustausch mit andern abgeschnitten werden sollen, wie dies regelmäßig im Umkreis von Wunden oder erkrankten Gewebeteilen der Fall ist; das geringe Wärmeleitungsvermögen des Korks befähigt ihn außerdem zum Schutz zarter Gewebe gegen starke Temperaturschwankungen. Da die Oberhaut der grünen Pflanzenteile durch die Spaltöffnungen, welche als Regulatoren der Wasserverdunstung dienen, unterbrochen ist und deren Bahn der Regel nach für den Wasserdampf frei erhalten werden muß, so sind Schutzeinrichtungen notwendig, welche das Eindringen fließenden Wassers, z. B. von Tautropfen, in die Spaltöffnungen verhindern. Da letztere bei der Mehrzahl der Pflanzenblätter auf der Unterseite zahlreicher vorhanden sind als auf der Oberseite, so muß auch erstere gegen Nässe stärker geschützt werden; aus diesem Grund erklären sich die mehligen oder wachsartigen Überzüge gerade an der Unterseite zahlreicher Blätter (z. B. der Mehlprimel, vieler Weidenarten u. a.). Trägt dagegen das Blatt die Mehrzahl der Spaltöffnungen an der Oberseite, so wird der Benetzung auch hier durch ähnliche Überzüge vorgebeugt. Auch die zweifarbigen, d. h. unterseits durch Haare weiß oder grau erscheinenden, Blätter haben meist eine spaltöffnungsfreie, von Wasser benetzbare Oberseite, während die an diesen Organen reiche Unterfläche durch die daselbst reichlich vorhandenen Haarbildungen vor Benetzung der Spaltöffnungseingänge gesichert wird. In andern Fällen, z. B. bei einzelnen Sumpfgewächsen, besitzen die Spaltöffnungen einen Schutz gegen Benetzung in papillenartig vorgewölbten Hautzellen oder in zapfenförmigen Auswüchsen der Cuticula, indem das Wasser in den betreffenden kleinen Hohlräumen die Luft nicht zu verdrängen vermag. Andre Pflanzen, wie die Kasuarineen, Cytisus radiatus und einzelne Schmetterlingsblüter, besonders der spanischen Flora (Arten von Retama, Genista, Ulex, Sarothamnus), bergen ihre Spaltöffnungen in Längsrinnen vor Wasserbenetzung. Die mit immergrünen Rollblättern versehenen Gewächse (Erica-Arten, Calluna vulgaris, Empetrum nigrum, Andromeda, Ledum palustre, Azalea procumbens), welche in den Hochalpen, in arktischen Gegenden, den Heiden und Mooren Nordwestdeutschlands und im Kapland mit ähnlichen Formen auftreten und an allen diesen Orten einer übermäßig starken Benetzung neben großer Trockenheit ausgesetzt sind, erreichen einen gleichen Schutz ihrer Spaltöffnungen durch Umrollung ihrer Blattränder nach unten, damit die an der Unterseite befindlichen Durchlüftungsorgane auch während der Niederschläge ihre Funktion ausüben können.

Die eben beschriebenen Einrichtungen haben zu andrer Zeit, d. h. bei Trockenheit und Dürre, eine wesentlich abweichende Aufgabe, indem sie dann dem innern Gewebe der damit ausgestatteten Pflanzen Schutz gegen die Gefahr übermäßiger Transpiration und des Wasserverlustes zu gewähren haben; von manchen Botanikern werden sie sogar als ausschließlich genanntem Zweck angepaßt betrachtet. Gegen Wasserverlust schützt der Spaltöffnungsapparat selbst, indem die beiden den offenen Spalt begrenzenden Oberhautzellen (Schließzellen) durch einen eigenartig konstruierten Mechanismus befähigt erscheinen, sich bei abnehmendem Wasserdampfgehalt der Luft zu schließen und im entgegengesetzten Fall wieder zu öffnen. Dementsprechend besitzen Feuchtigkeit liebende (hygrophile) Pflanzenarten Spaltöffnungen, die in gleichem Niveau mit den Oberhautzellen oder sogar über dieselben emporgehoben liegen, xerophile (Trockenheit liebende) Pflanzen dagegen mehr oder weniger tief eingesenkte. Andre Pflanzen schützen sich durch Verstärkung ihrer Cuticula (Ilex, Nerium), durch Überzüge von Wachs, von balsamartigem Firnis (Cistus-Arten des Mittelmeergebiets), ferner durch Kalk- oder Salzkrusten, wie viele Strand-, Steppen- und Wüstenpflanzen, oder durch Haarüberzüge (zahlreiche Woll- und Filzpflanzen) vor zu starker Verdunstung. Bei unserm einheimischen Hieracium Pilosella, das unterseits weißfilzige Blätter hat, krümmt sich bei trocknem Wetter das Blatt derartig, daß die weiße Unterseite einen schützenden Schirm für das übrige Blatt herstellt.

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b17_s0746.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2023)