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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17

ist aber hier eine andre. Vier große Gebirgsbogen treten gegen die vorderindische Halbinsel vor und umsäumen sie im W., N. und O. Der erste bogenförmige Gebirgsrand, der iranische Bogen, beginnt mit den Kurdischen Bergen, begrenzt die Mesopotamische Ebene und den Persischen Meerbusen und biegt an der Mündung des Indus nach N. um. Der zweite Bogen bildet das kürzeste Stück, den Außenrand des Hindukusch. Derselbe tritt in scharfer Krümmung gegen den Indus vor, wird bei Kalabagh vom Indus durchbrochen, springt jenseit desselben gegen S. vor u. endet bei Dschalalpur am Dschelam. Hier setzt der Außenrand des Himalaja an, der zuerst gegen SO., dann gegen O. und ONO. bis zum Brahmaputra streicht. Aus dem Brahmaputrathal tritt gegen S. ein Gebirgszug hervor, der anfangs dem Himalaja parallel nach WSW. zieht, dann nach S. umbiegt und über die Andamanen und Nikobaren nach den hinterindischen Inseln übersetzt. Das ist der malaiische Zug. Die faltende Bewegung ist in allen vier Bogen gegen das indische Tiefland gerichtet, am stärksten in den beiden mittlern Bogen, hier ist der Rand sogar gegen S. überschoben, so daß die Gesteinsfolge in umgestürzter Lagerung erscheint. An der Linie des Dschelam scharen sich die Ketten des Himalaja und des Hindukusch, beide treffen unter spitzem Winkel von SW. und SO. zusammen, weiter nördlich gehen dle Ketten ohne Unterbrechung über die Linie der Begegnung aus der Südostrichtung des Himalaja in die Südwestrichtung des Hindukusch über: der Karakorum, die Pamirketten, die Züge des Alai und Thianschan gehören zu den indischen Scharungen und sind Teile eines einheitlichen gefalteten Gebirgssystems. Die Verbindung zwischen dem europäischen und asiatischen Faltungssystem vollzieht sich im N. durch den Paropamisos, der quer über das Kaspische Meer zum Kaukasus zieht; das G. der Krim weist auf den Balkan hin. Vom Kaukasus ab ist aber die tangentiale Bewegung nicht mehr wie in den asiatischen Bogen gegen S. gerichtet, sondern gegen N. Dabei ist das ganze G. von dem südöstlichen Siebenbürgen, rings um die Donauebene und durch das östliche Serbien einer allgemeinen Drehung im Streichen unterworfen. Eine zweite Verbindung wird im S. durch den dinarisch-taurischen Zug hergestellt. Die westiranischen Ketten begegnen sich in Armenien mit den aus SW. kommenden Zügen des Taurus. Der Bogen wird durch die Dinarischen Alpen geschlossen, die von den südöstlichen Ausläufern der Alpen die Westküste der gangen Balkanhalbinsel entlang bis zum äußersten Süden von Griechenland ziehen. Hier erfolgt eine Umbiegung der Falten, die ihre Fortsetzung in Kreta finden, wie der Taurus nach Cypern übertritt. In der Mitte ist der Bogen eingebrochen, innerhalb desselben liegt das Senkungsfeld des Ägeischen Meers.

Diese fünf großen Bogen, die, gegen S. gewendet, quer über den Kontinent ziehen, nämlich der malaiische Bogen, der des Himalaja, der Außenrand des Hindukusch, der iranische und dinarisch-taurische Bogen, trennen zwei ganz verschieden geartete Gebiete der Erde: nördlich davon liegt gefaltetes Land, südlich das Tafelland von Nordafrika, Arabien, und jenes der indischen Halbinsel. Das erstere, die große Wüstentafel, reicht vom Atlantischen Ozean südlich vom Atlas bis an den Euphrat und den Persischen Meerbusen und ist durch gleiche Schichtenfolge wie flache Lagerung charakterisiert, tangentiale Bewegung und Faltung fehlt diesem Gebiet vollständig. Dieselben Merkmale tragen Südafrika, Madagaskar und Vorderindien an sich, sie bildeten ein vereinigtes Tafelland, das stückweise zusammenbrach und zur Bildung eines neuen Ozeans Veranlassung gab.

Kein Erdteil ist so einheitlich gebaut wie Südamerika. Im O. und in der Mitte liegt die weite brasilische Tafel mit flach gelagerten paläozoischen Sedimenten, den Westrand bildet die Kordillere der Andes, im Hauptzug aus jurassischen Ablagerungen zusammengesetzt, je weiter man aber von O. nach W. geht, um so länger sind die Züge und um so jünger die Sedimente. Nach N. durch Kolumbien und Venezuela und im S. bis Staten Island gehen die Ketten in Virgation auseinander. Der Unterschied zwischen den südamerikanischen Gebirgen und dem Alpensystem besteht darin, daß bei den Alpen, Karpathen und Apenninen das Rückland eingebrochen ist und bei den beiden zuerst genannten das Vorland sichtbar, während in Südamerika die brasilische Tafel die Stelle des Rücklandes innerhalb des Bogens vortritt und das Vorland unter dem Ozean liegt. An dem Aufbau der Kordillere der Antillen nehmen jungvulkanische, tertiäre und mitteltertiäre Sedimente teil. Die Kordillere ist bogenförmig gekrümmt und geht nach W. in zwei Äste in Virgation auseinander, einerseits vom südlichen Haïti über Jamaica nach Honduras, anderseits vom nördlichen Haïti über Cuba nach Guatemala. Die Lage der Vulkane an der Innenseite der Kordillere entspricht jener der Vulkane der Apenninen und der Karpathen. Nach der Art der Umrahmung steht das Karibische Meer zu dem Mexikanischen Golf in einem ähnlichen Verhältnis wie der westliche Teil des Mittelmeers zu dem östlichen. Das Karibische Meer ist im N. und O. von dem Bruchrand eines Gebirges umsäumt, das im O. mit einer Reihe von Vulkanen besetzt ist, im S. kehrt das G. von Venezuela dem Meer seine gebrochene Innenseite zu. Ebenso liegen die Verhältnisse in Italien und im nordwestlichen Afrika. Der Mexikanische Golf ist in das Vorland eingebrochen, ohne daß sein Umriß durch den Verlauf von Gebirgen gekennzeichnet sei, wie das östliche Mittelmeerbecken in die Wüstentafel eingebrochen ist. In Nordamerika ziehen an der Ostküste mächtige Faltenzüge entlang, die durch eine gegen W. und NW. gerichtete tangentiale Bewegung gebildet wird; der Atlantische Ozean liegt daher an der Innenseite dieser Falten. Die ganze ebene Mitte des Kontinents besteht aus kretazeischen Ablagerungen, die mit einer großen Brackwasser- und Süßwasserbildung abschließen; den Untergrund bilden flach gelagerte mesozoische Sedimente, die am Fuß des Felsengebirges plötzlich steil aufgerichtet erscheinen. Die Rocky Mountains bestehen aus mächtigen Höhenzügen, welche an einer geraden, im Meridian verlaufenden Linie hintereinander auftreten, und von denen jeder das Bestreben hat, gegen NW. abzulenken. An den Westfuß des Felsengebirges schließen die weiten Hochtafeln von Utah, in welche der Cañon des Colorado eingesenkt ist. Jenseit des Wahsatch beginnt das Gebiet eines eingebrochenen Faltenlandes, die Basin Ranges. Die Sierra Nevada ist eine gegen W. überschobene Faltung; nördlich davon, in Oregon und Washington, breitet sich eine ungeheure Lavadecke aus. Das kalifornische Küstengebirge hat dieselbe Zusammensetzung wie die Küstenkordilleren Südamerikas und kann als deren Fortsetzung angesehen werden.

Aus dieser Übersicht über die größten Gebirgsketten der Erde, die größten Tafelländer und die Mittelmeere treten einige allgemeine Züge hervor, welche für das Antlitz der Erde charakteristisch sind, und von denen einer hervorgehoben werden mag.

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b17_s0370.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2024)