Seite:Meyers b17 s0303.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17

umwickeln mit ihrer Basis einen stützenden Ast und finden auf diese Weise den nötigen Halt; sie verbreiten sich dadurch, daß ein Zweig vom Wind abgerissen und auf einen andern Baumast geführt wird, den er umwindet, um dann neue, sich bald wieder ablösende Seitensprosse zu treiben; auch die Vögel tragen zur Verbreitung der Pflanze bei. Die in physiologischer Beziehung sehr merkwürdige Wasseraufnahme der Bromeliaceenblätter wurde durch direkte Versuche Schimpers außer Zweifel gestellt, und zwar wird dieselbe durch eigentümliche, flach aufliegende, am Rand hautartig geflügelte Schuppenhaare vermittelt, deren Zellen zum Teil nur Luft enthalten, aber bei Benetzung sich sofort mit Wasser anfüllen, da bestimmte Partien des Haars im Gegensatz zu der Umgebung sehr dünne und unverkorkte Zellwände haben und daher das eindringende Wasser leicht durchtreten lassen. Außerdem ist bei den Arten mit nicht eingesenkten und daher weniger geschützten Schuppenhaaren ein aus stark verdickten Außenzellwandungen gebildeter Deckel vorhanden, welcher als Schutzmittel der darunterliegenden unverkorkten Zellen gegen Wasserverlust dient und beim Befeuchten des Haars durch die Ausdehnung der vorher zusammengedrückten Zellen in die Höhe gehoben wird; die Schuppenhaare haben somit die Doppelaufgabe der Wasseraufnahme und des Transpirationsschutzes. Auch der Bau der Blätter ist entsprechend der ihnen hier zugewiesenen Rolle der Wasseraufnahme stark umgestaltet, indem sie bei den rosettenbildenden Bromeliaceen durch stark entwickelte Luftlücken sich auszeichnen; die Arten ohne äußere Wasserspeicher, wie Tillandsia usneoides, tragen die Schuppenhaare nicht bloß an der Basis, sondern auf der Gesamtoberfläche der Blätter und weisen eine ganz auffallende Reduktion ihrer leitenden Gefäßbündelelemente, ähnlich wie die Wasserpflanzen, auf, was offenbar mit der direkten Wasseraufnahme durch die Blätter bedingt wird. Als Schutzmittel gegen Wasserverdunstung dient bei den mit Wassertrichter versehenen Arten eine löffelartige Ausbauchung des Blattgrundes, dessen übereinander greifende Scheiden ein zwiebelähnliches Gebilde mit vielen großen Hohlräumen herstellen; die erdständigen, nicht baumbewohnenden Arten haben mit wenigen Ausnahmen bis zur Basis schmale und durch Zwischenräume getrennte Blätter ohne Wassertrichter und entbehren dann auch der absorbierenden Schuppen.

Nach dem geschilderten Verhalten scheinen die E. aus ursprünglich erdbewohnenden Formen hervorgegangen zu sein, die zunächst ohne Änderung ihres Baues zur atmosphärischen Lebensweise überzugehen im stande waren. Das Streben nach Aufnahme reichlicherer Nahrung hat dann zur Ausbildung von baumbewohnenden Arten geführt, die entweder mit langen, abwärts wachsenden Nährwurzeln dem Erdboden Nährstoffe entziehen oder Humusstoffe in vogelnestartigen Wurzelbildungen oder in Blatttrichtern ansammeln, um dieselben durch aufwärts wachsende Nährwurzeln aufzunehmen. Die mit ihren Blättern Wasser aufnehmenden E. scheinen direkt von terrestrischen Formen abzustammen, welche die Vorrichtungen zur Verwertung der atmosphärischen Niederschläge bereits besaßen. Die stärkste Umformung unter den Organen der E. erlitten die Wurzeln, die unter Umständen, z. B. bei Aëranthus, sämtliche vegetative Funktionen übernehmen können, oder aber, z. B. bei Tillandsia usneoides, bis auf früh verschwindende Anhängsel verkümmert erscheinen. Nächst ihnen weisen die Blätter die auffallendsten Anpassungen auf, indem bei den Bromeliaceen durch Reduktion schließlich Formen (Tillandsia usneoides) entstanden sind, welche in ihrer Lebensweise, im Habitus und im innern Bau eine ganz durchgreifende Ähnlichkeit mit Arten von Aëranthus besitzen, deren ganzer Körper aber fast nur aus umgewandelten Wurzeln besteht. Beide Formen hängen von Baumästen herab, haben eine graugrüne Farbe und saugen wie Löschpapier jeden Wassertropfen auf; sie sind beide von einem Mantel von Aufnahmezellen bedeckt; die Außen-, resp. Innenhaut dieses Mantels ist mit stark verkorkten Schutz- und mit engen, unverkorkten Durchgangsstellen versehen etc. Trotzdem besteht die eine Form aus blattlosen, aber die Funktion der Blätter mit übernehmenden Wurzeln, die andre aus wurzellosen Sprossen, deren Blätter, wie sonst die Wurzeln, Organe der Wasseraufnahme geworden sind. Eine treffendere Illustration des Satzes, daß morphologisch ganz ungleichwertige Organe durch die Anpassung zu biologisch gleichen Bildungen umgestaltet werden können, ist kaum denkbar.

Durchmustert man die tropische Flora auf die systematische Zugehörigkeit ihrer Glieder zu den E., so zeigt sich, daß die Zahl der zu dieser Pflanzengenossenschaft beisteuernden Familien nur eine sehr geringe ist, daß aber anderseits einzelne Familien, wie die Farne, die Orchideen, Bromeliaceen, Araceen, Gesneraceen und Vacciniaceen, durch sehr zahlreiche epiphytische Arten vertreten sind. Die baumbewohnenden Gewächse stimmen sämtlich darin überein, daß ihre Samen zur Übertragung auf Baumäste geeignet sind und dort hängen zu bleiben und zu keimen vermögen. Ihre Früchte und Samen haben nämlich teils eine fleischige Hülle und pflegen in diesem Fall von baumbewohnenden Tieren, wie Affen, Vögeln etc., weggetragen zu werden, teils sind sie, wie die Samen der Orchideen und die Sporen der Farne, so leicht und klein, daß sie vom Wind in Rindenrisse oder Moospolster verweht werden, teils endlich besitzen sie bei etwas mehr Größe besondere Flug- oder Haftapparate. Diese Einrichtungen sind nicht als Anpassungen, sondern als ursprünglich vorhandene, ererbte Anlagen zu deuten. Familien mit großen und schweren Samen ohne Flugapparate, wie die Leguminosen und Euphorbiaceen, sind dagegen für die Verbreitung auf Bäumen nicht geeignet. Viele E. bewohnen wegen der Verbreitungsfähigkeit ihrer Samen ein sehr großes Areal; manche Farne, Lykopodiaceen und auch einige Phanerogamen bewohnen sowohl die westliche als die östliche Halbkugel; sehr zahlreiche Arten der E. folgen dem tropisch amerikanischen Urwald in seiner ganzen Ausdehnung und gehen teilweise, wie manche Tillandsia-Arten in Florida und Virginia sowie andere Formen in Chile und Argentinien, über die Grenzen desselben hinaus. Fast überall zeigen die E. Amerikas trotz ihrer Artunterschiede einen gleichartigen physiognomischen Charakter; vorwiegend treten die Bromeliaceen (Arten von Tillandsia, Aechmea u. a.), daneben zwei Gattungen der Araceen (Anthurium und Philodendron), ferner viele Orchideen, darunter die Gattungen Pleurothallis und Epidendrum, in Hunderten von Arten, außerdem verschiedene Peperomien, Gesneraceen, Kakteen und viele Farne auf, während die sonstigen E. aus andern Familien, mit Ausnahme von Clusia und einigen Ficus-Arten, sehr zurücktreten. In den Savannengebieten (Llanos, Catingas, Campos u. a.), in welchen stellenweise lichte Gebüsche und Wälder mit Grasflächen abwechseln, fehlen die E. nicht ganz; sie treten hier aber nur da mit größerm Reichtum der Arten und Individuen auf, wo größere Feuchtigkeit, wie an

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 17. Bibliographisches Institut, Leipzig 1890, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b17_s0303.jpg&oldid=- (Version vom 8.6.2023)