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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10

gingen die Verbündeten auf dies Anerbieten gar nicht ein und würdigten es nicht einmal einer Antwort.

Am 18. Okt. um 2 Uhr morgens gab Napoleon die alte, in ihrer Ausdehnung nicht mehr zu behauptende Stellung auf und rückte ungefähr eine Stunde Wegs näher an L. zurück. Der rechte Flügel (Poniatowski) stand an der Pleiße von Konnewitz bis Dölitz, das Zentrum bildete bei Probstheida einen ausspringenden Winkel, der linke Flügel reichte bis zur Parthe und war bis zur Mündung derselben in die Pleiße im N. von L. zurückgebogen. Die neue Stellung war 4 Stunden lang und nur von 150,000 Mann besetzt, die dem vereinigten Angriff der Verbündeten, welche sich auf 300,000 Mann mit 1400 Geschützen verstärkt hatten, kaum gewachsen waren. Die letztern waren daher auch voll frischer Kampflust. Trotzdem war die Schlacht auch 18. Okt. heiß und blutig und nicht überall siegreich für die Verbündeten, da Napoleon von der Tabaksmühle bei Stötteritz aus seine Stellungen hartnäckiger und länger, als es für die bloße Deckung des Rückzugs notwendig gewesen wäre, verteidigte. Die Angriffskolonnen der Verbündeten setzten sich nur sehr allmählich, teilweise recht spät, in Bewegung, so daß der Stoß nicht auf einmal mit aller Macht erfolgte. Auf dem linken Flügel griffen die Österreicher unter Hessen-Homburg die Stellungen der Franzosen rechts der Pleiße in Dölitz und Lösnig an, welche aber nicht genommen werden konnten. Auch Probstheida wurde von den Franzosen unter Napoleons persönlicher Führung gegen die mit bewunderungswürdiger Tapferkeit unternommenen Sturmversuche der Kolonne Barclays behauptet. Dagegen nahm der rechte Flügel der böhmischen Armee unter Bennigsen, welcher aber erst am Nachmittag eingriff, Zuckelhausen, Holzhausen und Paunsdorf, wo die Sachsen und 500 württembergische Reiter unter General v. Normann übergingen. Bei der Erstürmung von Paunsdorf wirkten bereits Bülow und Wintzingerode von der Nordarmee mit, welche endlich trotz Bernadottes Sträuben herangekommen war. Langeron und Sacken von der schlesischen Armee eroberten Schönefeld und Gohlis, und als die Nacht hereinbrach, waren die Franzosen im O. und N. von L. bis auf eine Viertelstunde an die Stadt zurückgedrängt. Hätte Gyulay mit genügenden Streitkräften sich des Passes von Lindenau bemächtigt, so wäre der Ring um Napoleon geschlossen und ihm der Rückzug abgeschnitten gewesen. Indes Schwarzenberg trug Bedenken, den noch immer gefürchteten Gegner zu einem Verzweiflungskampf zu zwingen, und Gyulay erhielt Befehl, den Feind bloß zu beobachten und einem Angriff auf Pegau auszuweichen. Dies geschah, und so konnte Bertrand die Straße nach Weißenfels ungehindert einschlagen, wohin ihm von Mittag an der Troß, die Wagen mit Verwundeten und der Artilleriepark folgten. In der Nacht begann der Abmarsch des Heers selbst, der Garden, der Reiterei, der Korps Victor und Augereau, während Macdonald, Ney und Lauriston die Stadt verteidigen u. den Rückzug decken sollten; alle Punkte außerhalb L. wurden geräumt.

Da Napoleon, nur schwer auf einen Sieg verzichtend, für den Rückzug ungenügende Maßregeln getroffen hatte, so war derselbe äußerst schwierig und geriet bald ins Stocken, da nur die eine Straße nach Weißenfels mit mehreren Defileen zu Gebote stand. Indes der Vorschlag Kaiser Alexanders, mit einem Teil des Heers die Pleiße zu überschreiten und sich auf diese Straße zu werfen, und Blüchers Anerbieten, mit 20,000 Mann Reiterei die Verfolgung zu übernehmen, wurden abgelehnt und nur geringe Streitkräfte mit derselben beauftragt; für 19. Okt. ward die Disposition zu einer neuen Schlacht ausgegeben und, als sich beim Fallen des Morgennebels am 19. herausstellte, daß diese nicht mehr nötig war, die Erstürmung von L. befohlen. Während die französische Armee in verwirrtem Getümmel sich nach dem Ranstädter Thor drängte und Napoleon selbst nur mit Mühe den Ranstädter Steinweg erreichte, hatten die Russen unter Langeron und Sacken die Hallesche, Bülow die Grimmaische Vorstadt erobert; hier gelang es dem Königsberger Landwehrbataillon unter Major Friccius zuerst, in die Stadt einzudringen; das Petersthor im S. wurde von Bennigsen genommen. Die Verteidiger, welche anfangs mit gewohnter Tapferkeit kämpften, gerieten zuletzt in völlige Auflösung, und die Verwirrung des in der Stadt zusammengedrängten Menschenknäuels erreichte den höchsten Grad, als aus Versehen die Elsterbrücke vor dem Ranstädter Thor, über welche die Rückzugsstraße ging, zu früh in die Luft gesprengt wurde. Viele kamen auf der Flucht um, so Marschall Poniatowski; andre mußten sich kriegsgefangen ergeben. Gegen 1 Uhr hielten die Monarchen von Preußen und Rußland ihren Einzug in L. unter dem begeisterten Jubel der Bevölkerung, der eine Zeitlang das entsetzliche Elend vergessen machte, welches die ungeheure Menge von Verwundeten u. Kranken in der Stadt verursachte.

Die dreitägige Schlacht hatte auf beiden Seiten gewaltige Opfer gekostet: die Preußen zählten 16,000 Mann und 600 Offiziere an Toten und Verwundeten, die Russen 21,000 Mann und 860 Offiziere, die Österreicher 14,000 Mann und 400 Offiziere. Die Franzosen verloren 30,000 Mann an Toten und Verwundeten, 15,000 Gefangene, 300 Geschütze und ließen 23,000 Mann in den Lazaretten zurück. Indes der Preis des Kampfes war auch ein großer. Napoleons Weltmacht war vernichtet, und wenn auch die laue Verfolgung nach dem Sieg die sofortige Beendigung des Kriegs vereitelte, so war doch mit Einem Schlag Deutschland bis zum Rhein befreit, und das deutsche Volk hat mit Recht den 18. Okt. lange Zeit als den Beginn seiner Wiedergeburt gefeiert. Zahlreiche Denksteine bezeichnen die merkwürdigsten Punkte der Schlacht, so die gußeiserne Spitzsäule (seit 1847) auf dem „Monarchenhügel“, das Denkmal des Fürsten Schwarzenberg (ein Würfel aus Stein unweit Meusdorf), der Napoleonsstein unweit des Thonbergs, dazu mehrere in der Stadt selbst errichtete Denkmäler (s. oben, S. 662). Auch ward schon 1814 in L. ein Verein zur Feier des 19. Okt. gegründet, der sich die Aufgabe stellte, das Gedächtnis der Völkerschlacht in möglichst treuer Überlieferung der Nachwelt zu erhalten und alle auf dieselbe bezüglichen Schriftstücke zu sammeln. 1863 wurde die 50jährige Jubelfeier der Schlacht besonders festlich begangen, noch kurz vor den welterschütternden Ereignissen von 1866 bis 1871, welche das Andenken des Leipziger Kampfes etwas zurückdrängten. 1875 wurde eine neue Korvette der deutschen Marine der Leipziger Schlacht zu Ehren „L.“ getauft. Vgl. Aster, Die Gefechte und Schlachten bei L. im Oktober 1813 (Dresd. 1852–53, 2 Bde.); Naumann, Die Völkerschlacht bei L. (Leipz. 1863); Wuttke, Die Völkerschlacht bei L. (Berl. 1863); Apel, Führer auf die Schlachtfelder Leipzigs (Leipz. 1863).

Die Kreishauptmannschaft Leipzig umfaßt 3567 qkm (64,78 QM.) mit (1885) 774,036 Einw. (1880: 707,826 Einw.), darunter 755,233 Evangelische, 13,745 Katholiken und 3928 Juden, und besteht aus der Stadt L. und 6 Amtshauptmannschaften.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b10_s0672.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2021)