Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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Blühens und Welkens, Großwerdens und Vernichtens. Während andere Städte mit jeder Aenderung ihrer Geschicke, der Gebieter oder der Herrschaft ihren Namen ablegen wie ein altes Kleid – ist jenen der Name gleichsam eine Mitgabe für die Ewigkeit. Athen, Rom, Alexandria sind solche Namen.
Alexandria! wer kann dich aussprechen, ohne daß der Hauch zugleich den Heros heraufbeschwöre, dem du der Schlußstein werden solltest zu dem Riesenbau seines Lebens! Zur Haupt- und Handelsstadt seines Weltreiche warst du erkoren, und an die Marken dreier Welttheile gestellt, solltest du die Reichthümer der ganzen Erde fassen.
Drei hundert und zwei und dreißig Jahre vor Christo wurde von Alexander auf jener schmalen Landzunge, bei welcher der westlichste Arm des Nils mündet, der erste Stein gelegt, und unter den Architekten Diochares und Cleomenes Leitung führten hunderttausend Arbeiter des großen Königs Plan aus. Die erste Anlage war für einen Raum von einer Stunde im Viereck berechnet. Später, unter den Ptolemäern, wuchs der Umfang der Stadt bis auf 8 Stunden. Auf einer Felsenreihe, die man bei der Einfahrt in den neuen, äußern Hafen zur Linken sieht, stand das königliche Schloß; zur Rechten, auf der Insel Pharus, der berühmte, 400 Fuß hohe, aus mehren Etagen bestehende Leuchtthurm, aus dessen Trümmern das Castell gebaut wurde, das jetzt den Hafen schützt. Ein 4500 Fuß langer Molo (das Heptastadium) streckte sich von der Stadt durch’s Meer bis zur Insel Pharus aus, und stellte zwei sichere Häfen dar. Hochüberbrückte, schiffbare Kanäle, jetzt ausgefüllt mit Schutt, durchbrachen den Damm und verbanden die Häfen. Noch ist der Molo vorhanden als eine 600 Fuß breite Landzunge, welche vom jetzigen Frankenquartier eine Viertelstunde weit in’s Meer sich streckt, das Türkenquartier trägt und den sogenannten alten vom neuen Hafen scheidet. Zunächst dem Damm lag die Residenz, ein weiter Palastcyklus der Ptolemäer. Dort waren die weltberühmten Anstalten für Wissenschaft versammelt, die jene Königsraçe pflegte, und die zu dem Ruhme Alexandriens eine neue Glorie fügten. Zunächst der Königsburg stand das Museum, ein Haus des geistigen Lebens für viele Jahrhunderte; dabei die Bibliothek, in welcher, auf 700,000 Schriftrollen, die gesammte Literatur der alten Welt bewahrt worden; sodann jenes Mausoleum Alexanders, später das Begräbniß der Könige, von allen Künsten herrlich geschmückt. Südlich lag das Gymnasium, die Stätte der Uebung für Geistes- und Körperkraft, mit den 600 Fuß langen Säulenhallen; weiter ostwärts, vor dem Canopusthore, wo jetzt die armseligen Hütten der Araber stehen, versammelte der Hippodromus (die Rennbahn) die Jugend und den Glanz der alten Hauptstadt zum Preisspiel; westwärts aber vom Molo erhob sich der Serapistempel, der prachtvollste des Orients, mit den Schulen der priesterlichen Weisheit und einer Bibliothek von 200,000 Rollen. Nach ihm erhielt dieser ganze Stadtbezirk den Namen Serapium. Ein Schuttberg läßt noch die Tempelstelle erkennen. In der Mitte der innern Stadt kreuzten sich auf einem freien, mit Bildsäulen und Monumenten
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/64&oldid=- (Version vom 30.12.2024)