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Gewöhnlich läßt man den Reisenden von Osten her kommen – auf der Wasserroute, und führt ihn über Poplar und Wapping und durch den „langen Saal“ des Zollhauses, durch die Lanes und Alleys der City und ihres Lebens nach den leichten und glänzenden Regionen des Westends. Wir wollen’s einmal umkehren und von Westen her einwandern. Brentwood, ein 2 deutsche Meilen von Sankt Pauls anmuthig an der Themse gelegener Flecken, ist der erste Ort, dem sich ein Polypenarm Londons zugestreckt hat, um ihn zu verschlingen. Noch gehört zwar Brentwood zu den Orten, wo der Londoner Landluft athmet; aber nicht lange mehr, so wird der Häuserkanal dicht seyn, welcher den Strom der Stadtluft ohne Unterbrechung hinführen soll – und wo jetzt noch eine Lücke ist, da wird gebaut zu ihrer Ausfüllung. Eine halbe Stunde weiter, bei Parnhamgreen, rücken die Häuser zu beiden Seiten des Wegs schon enge an einander, und was vor ein paar Jahren zerstreute Villen waren, nimmt allmählig den Charakter einer städtischen Straße an. In Hammersmith ist dieser vollkommen ausgebildet. Nebenstraßen zweigen aus, immer breiter wird das Häusermeer, es wird Kensington erreicht, aufgethan ist die Pforte des Westends. Kensington mit seiner Umgebung war noch vor 25 Jahren das „Land“ – der Makler und Notare der City; jest ist’s die Stadt des Hochadels, der Mittelpunkt des glänzendsten Lebens. Links sind die Parks, Kensington-Garden und Hydepark, mit ihren imposanten Anlagen, ihren Seen, Monumenten und zwischen Baumgruppen versteckten Palästen; mit den zahllosen Lustwandlern in den schattigen, gewundenen Gängen, und den Corso’s, wo die Reiter und Equipagen der fashionabeln Welt glänzen; die Vista schließt die dreifache Porta triumphalis, deren bronzene Thore gleichsam diesen nobelsten Theil Neulondons von dem ältern der vornehmen Welt trennt. Alles ist hier großartig und prachtvoll, fashionabel, kostbar, Genuß und Ueppigkeit verkündend, und wo nur ein Fenster sich öffnet, blickt der Reichthum hochtrabend und stolz durch und jener unsägliche Luxus, welcher nicht zu rechnen nöthig hat. In Belgravesquare erreicht die Pracht den Gipfel. Er besteht ganz aus Palästen, deren Massenhaftigkeit um so mehr Staunen erregt, wenn man erfährt, daß sie das Werk weniger Jahre sind. Die Straßen, welche mit dem Square in Verbindung stehen, sind die herrlichsten Londons; aber sie sind menschenleer, und die Stille unterbricht nur in langen Zwischenräumen das Rasseln einer Karosse, oder der Donner an der Thüre eines Palastes, womit der klopfende Lakei den Herrn verkündigt. – In der City imponirt die Großartigkeit des geschäftlichen Treibens; hier die Großartigkeit der vornehmen Einsamkeit.

Von Belgravesquare führt eine Straße zu einer Reihe prächtiger Gebäude, deren Fronte gegen den Park gekehrt ist, der den Palast der Königin umgibt. Anmuthig und groß ist die Vista von diesem Punkte. Ueber Gesträuch und Bäume hinweg dringt der Blick in das Londoner Dunstmeer, in dem zahllose Thürme wie Geister stehen; erhaben über Alles aber ragt die Westminsterabtei, unser Ziel, hervor. Ihr Anblick öffnet eine neue Ideenwelt,