Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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verdirbt nicht, wenn er auch Jahrhunderte, ja Jahrtausende verborgen, oder unentwickelt bleiben sollte. Hat nicht für die Anwendung des Wasserdampfs als bewegende Kraft schon Archimedes gedacht und geschrieben? wurde sie nicht schon vor Columbus zum Treiben der Schiffe vorgeschlagen? war man über die Theorie der Zugkraft auf ebner Fläche nicht schon zu Aristoteles Zeiten einig? und dennoch sind Dampfmaschinen und Eisenbahnen Dinge von Gestern. Wie es aber so mit den Entdeckungen der Vorzeit gegangen ist, so muß es auch mit vielen unserer Zeit seyn. Neben den wenigen, die täglich in’s praktische Leben übertreten, weil ihre nützliche Anwendung dem Fassungsvermögen der Menge nahe liegt, bleiben ihrer Legion als unentwickelte Keime aufgehoben für künftige Geschlechter.
Es ist ein großer Vortheil für die Gegenwart, und der immer häufigeren Anwendung der Naturforschungsresultate leistet es großen Vorschub, daß das Studium der Naturwissenschaften nicht mehr blos ein Beruf Einzelner ist. Daß es als ein Moment der allgemeinen Bildung aufgenommen wurde in die Schulen der civilisirten Nationen – dies ist das Größte, Folgenreichste, was in den letzten Dezennien für Menschencultur geschehen ist. Die Aufnahme der Naturwissenschaften im öffentl. Unterrichte hat noch den Vortheil, das, bei der Unmöglichkeit, jedem Individuum nur das zu lehren, was in der engen Sphäre seiner speziellen Lebensbestimmung ihm unmittelbar nützlich und anwendbar werden könne, der Unterricht selbst stets umfassend seyn muß, und er dadurch genöthigt wird, jenen hohen Standpunkt zu bewahren, der ihn vor dem Versinken in Pedanterie, Einseitigkeit und ausschließlicher Beschäftigung mit Einzelnheiten für immer schützt. Da er bei der Zersplitterung der Lebensberufe jedem Individuum nicht Alles seyn kann, so muß seine Tendenz stets dahin gerichtet seyn, Allen recht viel zu werden, und dies kann er nur dadurch, daß er die Einsicht schärft, den Sinn für das Schöne ausbildet, die Begeisterung für das Heilige und Erhabene weckt, den Willen veredelt und kräftigt, die praktische Thätigkeit für den zu wählenden Lebensberuf vorbereitet; kurz, daß er trachte, alle Geisteskräfte des Schülers zu heben und zu harmonischer Einheit zu verbinden, seine Organe zu cultiviren, sein Gemüth zu kräftigen und zu veredeln und ihn dahin zu führen, daß er es verschmäht, die Richtungen seiner practischen Thätigkeit auf etwas Anderes zu gründen, als auf die Gesetze der Humanität.
An den Ausspruch Göthe’s:
knüpft sich dann eben so wahr:
Hat unsere Bildung den angedeuteten Standpunkt gewonnen, bann entwickelt sich aus derselben gleichsam von selbst die Anwendbarkeit des erlangten Wissens auf die Handthierungen und Gewerbe des Lebens.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/228&oldid=- (Version vom 5.1.2025)