Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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des beweglichen Lebens, oder es sind veraltete, ermattete; – Ideale, nicht wie sie der schöpferische Gedanke vorhält, sondern aus den Büchern der Geschichte genommene. Es ist eine ärmliche Fruchtnachlese dürrer Aehren; die reiche Lenzblüthe ist abgeweht; sie kommt nie wieder. –
Doch auch das Mannesalter hat seine Blüthen, auch des Mannes Brust ist ein Göttersaal. Die höhere Erkenntniß, die größere Wissenschaft, die menschlichere Gesinnung, die Liebe für den Frieden und seine Künste können der Menschheit das Feuer der verlornen Jugend ersetzen. An den Enthusiasmus für das Ideale ist die Begeisterung für das Reale getreten, und indem sich die Menschheit mehr mit der Wirklichkeit beschäftigt, schmückt sie diese sorgfältiger aus und des Menschen Leben auf Erden richtet sich bequemer, genußreicher ein. Ich sehe in diesen Tendenzen nur Förderliches für die Zwecke der Menschheit; mich kann die Präponteranz, welche die materiellen Interessen im allgemeinen Streben nach der Erlangung eines größern Theils am Genusse irdischer Glückseligkeit erlangt haben, durchaus nicht beunruhigen. Es ist dem Mannesalter der Menschheit angemessen und an sich unverwerflich.
Durch diesen allgemeinen Wetteifer, sich das Leben zu verschönern und genußreicher zu machen, müssen sich die menschlichen Bedürfnisse in’s Unendliche vermehren; – denn Genuß und Bedürfniß sind stets unzertrennlich. Erwerb bietet zur Befriedigung das Mittel und Erwerb ist daher jetzt vorzugsweise das Ziel der menschlichen Thätigkeit. Daher ist auch die Industrie zu so hohem Ansehen gelangt, eben weil sie die reichste Fundgrube des Erwerbs besitzt; und daher haben auch die Elemente der Industrie jetzt eine Gültigkeit und Anerkennung ihres Werthes, wie sie solche in der alten Welt, in der Jugendzeit der Menschheit, nie erlangen konnten, und daher auch nimmt die Aufsuchung und Ausbeutung dieser Elemente gegenwärtig eine so ungeheuere Menge menschlicher Kräfte in Anspruch. Man hat berechnet, daß nur allein der Anbau von Baumwolle und Flachs, die Gewinnung der fossilen Kohlen und die Bereitung des Eisens ein Dreißigstel der ganzen civilisirten Menschheit beschäftigen.
Steinkohlen, ein Schatz, den man in früherer Zeit nicht achtete und kaum gekannt hat, sind in Verbindung mit Eisen nicht nur die großen Motore der heutigen Gewerbsthätigkeit, sondern der Einrichtungen, auf welche die Entwickelung des Menschheitslebens in Gegenwart und Zukunft hauptsächlich fußt. Man könnte sagen, die Civilisation knüpft ihre Fäden an Eisenlager und Kohlenflötze; daß sie in der Schätzung des Reichthums der Nationen das schwerste Gewicht in der Waagschaale sind, ist nicht zu bestreiten.
Seinen reichen Steinkohlenlagern verdankt namentlich England die ungeheuere Entwickelung seiner Industrie, seines Nationalreichthums, und, als Folge desselben, seine politische Größe. Ohne seine Kohlen wären die Erfindungen eines Watt, Boulton, Arkwright, Stephenson für England ohne Vortheil; sie hätten kein Leben, keine Kraft, keine Bewegung. Erst dann nahm die englische Industrie jenen weltbeherrschenden Aufschwung, als man den unermeßlichen Schatz der Kohlenablagerungen zu würdigen verstand, und als eine aufgeklärte Gesetzgebung den Bergbau gleichzeitig von den feudalistischen Fesseln befreite, unter denen er,
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/195&oldid=- (Version vom 3.1.2025)