Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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Aachens Hauptschicksale deuten wenige Worte an. Die Römer hatten hier ein Bad; Karl der Große, der hier geboren und gestorben ist, seine Residenz; dann war es Krönungsort der deutschen Könige, Glied des Hansabundes, freie Reichsstadt, endlich, als Aix la Chapelle, Departementsstadt des französischen Kaiserthums. Seit dem pariser Frieden ist es Hauptstadt eines Regierungsbezirks der preußischen Rheinprovinz und einer der gewerbreichsten Orte der deutschen Lande. Die Stadt liegt in einer ebnen, fruchtbaren Gegend, nahe an der belgischen Grenze, etwa 8 deutsche Meilen westlich von Cöln, mit dem sie durch eine Eisenbahn verknüpft ist. Das freundliche Aachen hat etwa 3000 Häuser und 40,000 Einwohner, und, mit Ausnahme des ältesten Stadtkerns, breite, sonnige Straßen, große öffentliche Plätze und einen breiten Kranz der schönsten Anlagen, welche die Stelle der ehemaligen Wälle einnehmen. Der Ort ist reich und der Sitz großartiger Industrien. Obenan steht die Tuchfabrikation, welche, berühmt seit langer Zeit, ihrem Erzeugnisse den Ruf der Trefflichkeit Jahrhunderte hindurch ungeschmälert bewahrt hat. Sie allein beschäftigt in Stadt und Umgegend 25,000 Arbeiter und über 20 Millionen Thaler Kapital. Die Verfertigung aller Arten von Maschinen geschieht in mehren Etablissements in eben so großer Ausdehnung als Vollkommenheit. Ein einziges Haus hat über 600 Arbeiter. Große Nahrungszweige sind auch die Fabriken chemischer Präparate, von Papier, Handschuhen, Spitzen etc. etc.; sodann die warmen Bäder, die schon zur Römerzeit unter die Heilquellen ersten Ranges gerechnet wurden. Man benutzt mehre Quellen, welche, in verschiedenen Abstufungen, eine Temperatur von 100 bis 130 Grad Fahrenheit haben. Die älteste und kräftigste ist die Kaiserquelle, mit Trümmern römischer Thermen. Karl der Große ließ sie restauriren. Ihr folgen: das Quirinusbad, das neue, daß Rosen-, Herren- und das Armenbad, letzteres mit den Spitaleinrichtungen für unvermögende Kranke und 2 großen Bassins zu Gemeinbädern. Versenden lassen sich die Aachener Wasser nicht. Ihre vorzüglichste Anwendung finden sie in hartnäckigen Gichtbeschwerden, veralteten rheumatischen, syphilitischen und Hautübeln, Unterleibskrankheiten und in chronischen Leiden der Brust. Die Anstalten für die Badegäste sind vortrefflich und die eigenthümlichen Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten einer großen Stadt tragen dazu bei, die Frequenz der Bäder zu begünstigen. Sie werden jährlich von einigen tausend Kranken aus allen Welttheilen besucht. Eine ganz besondere Erwerbsquelle Aachens fließt nur alle sieben Jahre: nämlich durch die Ausstellung der sogenannten großen Reliquien im Dome. Diese Heiligthümer bilden eine wunderliche Versammlung der verschiedenartigsten Dinge: man sieht eine Haarlocke der Maria, ein Stück vom Stabe Aarons, eine Portion Manna, womit der Himmel die Juden in der arabischen Wüste speisete, Blut und Knochen vom gesteinigten Stephan, ein Stück vom wahren Kreuz Christi, die Nägel, womit der Heiland an’s Kreuz geheftet worden, den Schwamm, der ihn in der Sterbestunde tränkte u. s. w.; ferner, und dies sind die Hauptartikel der Verehrung: Joseph’s bockslederne Hosen, das Kleid, welches die
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/182&oldid=- (Version vom 3.1.2025)