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CCCCXI. Aachen.




Ich setze gern die Welt dem engen Vaterlande gegenüber. Doch wenn auch im Lichte jenes Sonnenmeers das Heimathliche erbleicht, wenn auch vor jenem glänzenden Ocean des Lebens, vor diesem unergründlichen All, die kleine trübe Erde mit ihren Völkerkammern und Kämmerchen in einen Punkt zusammen schwindet, den das geistige Auge verliert, so hat doch die ewige Liebe darum meine Gefühle nicht in die Wüste des Universums hinausgestoßen zur pfadlosen Irrfahrt, sie hat auch um mich das Band geschlungen, welches den Menschen lebenswarm an die Scholle knüpft, wo sein Volk wohnt. Mein Wirkungsstreben möchte die Welt umfassen; aber der Grund und Boden, aus dem es hervorgeht, ist deutsch, und entfernt es sich auch noch so weit, so findet es doch die höchste Freudigkeit nur im Vaterlande.

Aus diesem eigenthümlichen, anscheinend zwiespaltigen und doch einigen Wesen meines Geistes erklärt sich auch meine Liebe für die heimathliche Vergangenheit, meine Theilnahme für die geschichtlichen Ueberlieferungen meines Volks und für die blassen Nacherinnerungen seiner Herrlichkeit.


Aachen! Ich brauche blos dein Bild zu sehen und die Stromkarte der deutschen Geschichte ist vor mir aufgerollt, mit allen ihren Windungen, Erweiterungen, Schnellen und Stürzen, von den Carolingern an bis zu dem heutigen Tag. Welche deutsche Stadt könnte das Maß des Ruhmes messen mit dem deinigen und welcher Schicksal käme dem Wechsel deines Geschickes gleich? Dein Ruhm reicht bis in der deutschen Zeiten Ursprung, in der Zeiten Mitte warst du ihr Haupt, von dir kam alle Herrlichkeit des deutschen Königthums, und als der Königsmantel zur Mumiendecke geworden war, zur Hülle für den bloßen Schein des Lebens – da verschwandst du von der Karte des deutschen Landes. Es gab kein deutsches Aachen mehr, als die lange Nacht der deutschen Schmach hereinbrach. Erst in der Wiedergeburtsstunde des Vaterlandes wurdest auch du zum Zweitenmale deutsch geboren, und seitdem erhobst du dein deutsches Antlitz wie eine Sybille, deren Mund die große Zukunft des deutschen Alls verkündigt; jenes Alls, das die zerstreuten Elemente unseres Volksthums einigen soll, und wieder zuführen wird dem Haupte alle durch Schwert und Zwiespalt von ihm getrennten Glieder. Mit dieser Vereinigung hebt alsdann das große Epos der Neu-Geschichte an, welches, wenn die Zeichen nicht trügen, die ganze Erde in seinen Kreis ziehen wird.