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eine lange Zeit hindurch für die Briten eine Goldgrube, wie einst Nowogorod für die Hansa eine gewesen war. England setzte es endlich bei dem moskowitischen Hofe durch, daß Archangel zu dem einzigen Hafen erklärt wurde, in welchem seewärts kommende Güter ausgeschifft werden durften, wodurch der ganze russische Seehandel in seine Hände kam und die Dänen fast ganz entfernt wurden. Kein Wunder, daß sich die Stadt zu einem in diesen Regionen nie gesehenen Glanze erhob und man sie eine Zeitlang das Venedig des Nordens nannte. Im siebzehnten Jahrhundert erlangten zwar auch Holland und die deutschen Hansestädte das Recht, nach Archangel zu handeln; doch behielten die Briten stets das Uebergewicht, und sie haben es im Verkehr des Platzes bis auf den heutigen Tag behauptet, obschon ihnen die Vortheile ausschließlicher Privilegien längst entzogen sind und sich seit der Erhebung Petersburgs die Verhältnisse und die Wege des Handels so sehr verändert haben. Den ersten Stoß erhielt das große und blühende Archangel durch die Aufhebung der englischen Privilegien unter dem Czaar Alexius Michaelowitsch, in Folge der Hinrichtung König Karls I. (1649); denn er wollte das Volk züchtigen, das gewagt hatte, Hand an seinen Herrscher zu legen. Fünfzig Jahre später keimte für Archangel wieder eine große Hoffnung, als Peter der Große die Absicht aussprach, den Ort zum Haupt- und Freihafen des Reichs zu erklären und alle Haupthandelswege dorthin zu leiten; er war dreimal selbst da und untersuchte selbst alle Verhältnisse; endlich aber erkannte sein Adlerblick, daß Archangels geographische Lage nicht geeignet sey, eine Hauptrolle in seinem Plane, Rußland auf die Stufe einer europäischen, politischen und Handelsmacht vom ersten Range zu erheben, zu übernehmen; – er übertrug daher solchen an Petersburg, und damit war das Schicksal Archangels für immer besiegelt. Ausgestrichen war’s aus der Liste der Handelsstädte ersten Ranges – und um den Umzug des Verkehrs und seiner Diener, der Kaufleute und Fabrikanten, nach Petersburg zu beschleunigen, belud man Archangel mit drückenden Zöllen, während der Hafen seiner begünstigten Rivalin allen Nationen sich öffnete. Rasch sank nun Archangel von seiner Höhe herab. Intelligenz und Kapitale wanderten nach Petersburg aus. Erst als der Zweck des Autokraten vollständig erreicht war, stellte er Archangel in Bezug auf Handelsberechtigung mit Petersburg wieder gleich; doch der Umschwung der Verhältnisse war für immer geschehen. Der Verkehr hatte die ihm gewiesene neue Bahn gangbar gemacht; er war nicht wieder auf die frühere zurückzuleiten. Petersburg blieb im Vortheil und sein Handel hat den archangelschen seitdem um mehr als das Zwanzigfache überflügelt. Archangel hat nur Das gerettet, was ihm der petersburger nicht nehmen konnte: den Verkehr, der ihm in seiner Lage aus dem weiten Russenreiche naturgemäß zufällt. Noch ist Archangel der Mittelpunkt des Handels der nördlichsten Provinzen Rußlands, besonders aber Sibiriens, und namentlich sind es solche Produkte, welche hier Markt suchen, die vermöge ihres Umfangs und ihrer Schwere sich zum Kanal- und Landtransport nach dem fernen Petersburg weniger eignen. Dahin gehören Holzwaaren, Matten, Hanf und Flachs, Theer, Eisen, Pech etc. etc. Auch ungeheuere