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Die ersten Dämmerungsstrahlen der Gesittung brachen vor neun hundert Jahren über den russischen Horizont hervor, als das damals gebildetste Volk im nördlichen Europa, die Normänner, das Nordcap umsegelten und an der Mündung der Dwina im weißen Meere die erste Niederlassung gründeten. Es waren Colonien mehr um des Handels, als des Anbaus willen. Kola und Malnuß erhoben sich bis zum 14ten Jahrhundert zu bedeutenden Stapelorten, und das Christenthum hatte an dieser fernen Küste schon früh Verehrer. Das Uebergewicht der Dänen blieb ungestört, bis England unter der Königin Elisabeth durch eine nordöstliche Durchfahrt das zu gewinnen suchte, was sich die Portugiesen durch Umsegelung des Caps erworben hatten: nämlich einen Seeweg nach Ostindien. Es sendete drei Schiffe dazu aus; doch nur eins gelangte bis zum weißen Meere an die Bucht Sankt Nicolas, wo einige Faktoreien der Normänner gelegen waren. Die Dwina aufwärts reisend, erreichte die englische Mission Moskau, und im Namen ihrer Königin schloß sie mit dem Czaar ein Handelsbündniß ab. Letzterer räumte große Vortheile ein. Er bewilligte den Briten zollfreie Ein- und Ausfuhr auf ewige Zeiten, eine Faktorei in Moskau und das Recht, eine Niederlassung am weißen Meere zu gründen. So ward Rußland dem britischen Handel geöffnet und hierauf entstand die noch jetzt bestehende russische Handels-Compagnie in London. Schon 1557 wurde von derselben unter der Führung Jenkinsons die erste Handels-Expedition ausgerüstet, der sich viele britische Handwerker, auch Bergleute, Aerzte, Apotheker, Kaufleute, Gelehrte u. s. w. zur bleibenden Ansiedelung in Rußland anschlossen. Sie waren die ersten, welche die Keime englischer Gewerbe, Künste und Wissenschaft auf russischen Boden pflanzten. 1584 erwarb die Londoner Compagnie die Bucht Sankt Nicolas als freies Lehn vom Czaar, und am Tage des Erzengels Michael wurde von den Briten der Grundstein zu einer Stadt daselbst gelegt, dem heutigen Archangel. Die eifersüchtigen Normänner und Dänen suchten den jungen Pflanzort zu zerstören; sie wurden aber vertrieben, Archangel mit Bollwerken umgeben und dieses so zugleich eine Festung. Aus dieser Zeit stammen, sämmtlich durch Engländer und Deutsche in’s Leben gerufen, die ersten Fabriken in Moskau und den übrigen russischen Großstädten; die ersten Apotheken, die Briefposten, Polizeianstalten, Buchdruckereien und viele andere, vorher nicht geübte Gewerbe und Künste. Archangel, welches nur für den britischen Handel zugänglich und für den Verkehr nach dem Innern, nach Moskau und nach Nowogorod noch besser als Kola gelegen war, (hier hatten die Dänen ihre Hauptfaktorei,) setzte sich allmählig in den Besitz des größten Theils des auswärtigen Handels Rußlands und blühete sichtbar auf. In der Nähe der Stadt wurden von britischen Unternehmern Kupfer- und Eisenbergwerke, Salzsiedereien etc. etc. angelegt; der Schiffbau wurde mit enormen Vortheil ganz großartig betrieben und bis in die fernsten Theile des Reichs, bis nach Kamtschatka hin, ja bis nach Persien und China öffnete sich der britische Handelsgeist von hier aus Verbindungen und Quellen für neuen Gewinn. Wallfischfang, Robbenschlag und andere Zweige der großen Fischerei beschäftigten an den Küsten des Polarmeers und des neuentdeckten Novaja Semlia viele Hundert Fahrzeuge. Es war Archangel