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mit allem Feuer, welches die stets fortwährende Reibung unterhält, die Interessen des Friedens ausbeutet und zugleich vertheidigt: da kann von einer Umwälzung, ähnlich jener früheren, welche das alte Frankreich begrub, nicht die Rede seyn. Das gemeinschaftliche Interesse hält die Kraft des Volks gebunden, und so heftig auch die Parteien einander hassen, so können sie doch nicht von einander lassen. Der Streit, den hier Nothwendigkeit und Freiheit führen, das Kriegsspiel der Faktionen, ist gerade genug, daß des Athleten Säfte nicht stagniren: er ist die Turnschule der Nation, in der sich ihre Glieder recken und strecken zu größerer Kräftigung. So lange nun die Regierung Ruhe und Maß behält, besonnen das Steuer führt, fort und fort der Nation den Puls fühlt, ihren Gang beschleunigt, wenn jener rascher geht, inne hält, wenn er langsamer schlägt, Nichts thut, als was das Volk will, sich vor jedem Mißbrauch der Gewalt hütet, – und das wird sie, so lange Ludwig Philipp das Steuer führt, – so lange wird auch der Thron der Orleans feststehen, ob er gleich auf einem Krater gebaut ist. Aber bei dem ersten Vergessen der Pflicht wird das Volk ihn verschlingen und das junge Frankreich friedlich seine fünfte Metamorphose machen. Die Elemente derselben sind längst thätig, und sogar ihre Gestalt ist deutlich zu erkennen. Sie wird die Emancipation des Provinz- und Gemeindelebens seyn: – denn unverkennbar streben alle Provinzen des Reichs nach einer selbstständigern Entwickelung. Das verhaßte Reich der Centralisation sinkt; die Macht von Paris hat ihr Zenith hinter sich; sie steigt abwärts und sie muß in eben dem Maße fallen, als die Bedeutung der Hauptstädte in den Provinzen wächst, weil bei einem gemeinschaftlichem Fortschreiten derjenige stets zurück kömmt, welcher am langsamsten weitergeht.

Alle Provinzhauptstädte aber haben notorisch seit zwei Jahrzehnten im Verhältniß mehr zugenommen an Bevölkerung, Reichthum und Geltung, als Paris, und mit dem Bewußtseyn größerer Kraft hat sich auch der Anspruch an größeres Recht gemehrt. Die Vorgänge der letzten Jahre beweisen, wie ein Kampf, ein Kampf auf Leben und Tod, mit der Centralisation ganz unvermeidlich ist. Toulouse, Metz, Lille, Rouen, Bordeaux haben bei mehren Anlässen die Bahn des Widerstands betreten, und jedes neue Ereigniß hat bewiesen, wie tief der Emancipationsgedanke im französischen Gemeindeleben Wurzel schlug.

Frankreich hütet und pflegt sein größtes Gut nicht mehr, wie sonst, vorzugsweise in des Reiches Hauptstadt. Während Ludwig Philipp den Parisern so viele Bastillen baut, als die alte Fenster hatte, richtet die Freiheit in den Provinzen sich häuslich ein, und aus einem Feldlager macht sie hundert. –

Bordeaux, Toulouse und Marseille, Herde dieses Strebens, repräsentiren den französischen Süden – jenen glücklichen Süden, wo die Gaieté dem Leben einen Zauberstab in die Hand gibt, wofür der Deutsche nicht einmal einen Namen hat. „Dort wallt,“ sagt Weber, „lauter Weingeist und Quecksilber in den Adern, und die Großmutter dreht sich mit dem Enkel sorglos, wo eine Trommel zum Tanze spielt.“ – In diesem Lande, wo der