Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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Sieben und zwanzig Menschengeschlechter ruhen in Frankreichs Todtenhügeln, seitdem im Streite von Karl’s des Großen Enkel der Deutschen Macht in Frankreich gebrochen war und der erste Capetinger die Krone trug. Acht Jahrhunderte zogen über das Land hin, mit allen Triumphen und Trophäen und Siegeskronen und allem Ruhme, und aller Arglist und aller Blutschuld des Königthums, bis ihm die Sturmglocken zu Grabe läuteten, welche der Welt die ersten Stunden einer neuen Aera schlugen. Gedanke und Schwert, Krieg und Guillotine hatten des alten Frankreichs Herrlichkeit gefressen; aber auf dem Leichenacker richtete sich ein neues Frankreich auf, größer als das erwürgte. Lebenskräftig, wie eine junge Riesenschlange, hat es sich schon vielmal gehäutet: – Königskrone, Jacobinermütze und Kaisermantel glänzten und vergingen in drei Jahrzehnten. Und als der letztere zerrissen war, verrannen auch die Wegen der neuen Völkerwanderungsfluth; jedes Gewässer kehrte in sein altes Bett zurück und auf den befruchteten Ländern schossen die Saaten des Friedens üppig auf. Seitdem machte Frankreich abermals eine Metamorphose; aber obschon das vierte Häutungswerk, die Julirevolution, manches Reich erbeben machte, ist es doch ruhiger erfolgt, als manches frühere. Vierzehn Jahre hat die Republik gedauert, 10 Jahre hat der Kaiserthron gestanden, 15 Jahre der der ältern Bourbons: – der der Orleans steht nun wieder 12 Jahre, und die Periode abermaliger Häutung mag nicht fern seyn. So stark aber sind die Elemente des Friedens in der Welt geworden, daß auch die fünfte Wandlung nur solche Erschütterungen bringen dürfte, die befruchtend, nicht zerstörend wirken.
In Frankreich selbst herrscht des Friedens Genius jetzt so absolut, und seine Kraft ist in der That so groß gewachsen, daß ein zerstörender Verlauf künftiger Revolutionen kaum mehr gedacht werden kann. Dort, wo dem Repräsentanten des Friedens, dem Mittelstande, aus einer sich täglich verjüngenden Industrie immer neue Kräftemassen quellen, wo er mit aller Gewandtheit, welche eine thatenreiche Zeit bei ihm entwickelte, mit allem Verstande, den vielseitig sich kreuzende Verhältnisse erregten, mit aller Einsicht, die ein versuchtes Leben gewährt,
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/10&oldid=- (Version vom 28.12.2024)