Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Bayern, und ist dessen gewöhnliche Sommerresidenz. Die Wiederherstellung des verfallenen Gebäudes geschah unter der Leitung von Dominik Quaglio vor einigen Jahren mit eben so viel Pracht, als Geschmack, im mittelalterlichen Style, und in seiner jetzigen Gestalt und Ausschmückung erhält es als Denkmal vaterländischer Kunst und Geschichte eine weit ernstere, höhere und würdigere Bedeutung, als ihm die Restauration allein jemals geben konnte.
Unser eben so schönes als treues Portrait giebt das Schloß und seine herrliche Umgebung als freundliches Frühlingsbild wieder. Ein Maimorgen war’s, als der sinnige Künstler mit der Mappe unter dem Arm aus dem Thore des Gasthauses des uralten Städtchens Füssen schritt, Hohenschwangau zu zeichnen. Durch üppigen Wiesgrund der rauschenden Lech entlang, zieht der Pfad erst gemach bergan. Enger wird allmählig das Thal, es wird zur Schlucht – und die Lech stürzt nun in großen Sätzen und wild rauschend zwischen Felsmassen von Stufe zu Stufe. Nur die zartesten Erstlinge des Jahres schmückten die Ränder des Bergstroms. Südwärts trugen die kahlen Alpengipfel noch die Wintermützen, nur den Waldschnee jagte der Frühlingshauch in brüllenden Strömen die Thaler hinab. Nahe und ferne Wasserfälle sangen dem Ewigen Morgengesang, und dazwischen dröhnte der Sturz losgerissener und zermalmter Felsstücke. Selten gewinnt das Auge einen Blick in’s Freie, und so weit er dringen kann, sieht er nur schwarze Waldungen. An einer weit vortretenden Höhe wendet sich der Weg rechts – noch einige hundert Schritte geht es fort im Dunkel des Forstes – da steht das Ziel. Ein paradiesisches Thal lacht heimlich und freundlich entgegen, und mitten in dieser arkadischen Einöde, auf der breiten Stirn eines Marmorfelsens, prangt die fürstliche Burg mit Mauerzinnen, Thurmfahnen, Wappenschilden und hochgewölbten Thoren, und unwillkührlich heischt eine längst entschwundene Zeit Erinnerung. Nichts tritt störend in das mittelalterliche Bild, als – die Menschen; aber auch diese stören den Lenzreisenden nicht, da der Hof vor dem Juli selten herkömmt. Die Kunst hat die herrliche Natur von Hohenschwangau’s Umgebung mit scheuer, zarter Hand berührt, und sich blos darauf beschränkt, Wege zum Genuß und zur bequemen Betrachtung seiner Schönheiten zu bahnen. Bald durch des Gehölzes dunkles Dickicht, bald durch lichten, majestätischen Urwald, bald an einzeln stehenden Riesenbäumen, an deren bemoosten Stämmen sich schmucklose Rasenbänke lehnen, vorüber, gelangt man zum Schloß. „Der innere Burghof“, so schildert der Künstler, „schien der Aufenthalt der Flora selbst zu seyn. All die zarten Blüthen des Frühlings, die ich selbst in Füssen erst knospen gesehen, waren hier, warm geküßt vom freundlichen Strahl der Sonne und vor jedem Luftzug geschützt, schon aufgebrochen, und kleine Singvögel hüpften und zirpten in allen Gebüschen umher. Ich setzte mich nieder und horchte zum erstenmale wieder am Busen des neuen Frühlings, und horchte still den gefiederten kleinen Sangkünstlern und dem fernen Rufe des Guckucks von der Waldeshöh. Erst als ich das Fest der Natur mitgefeiert, dachte ich meines Berufes und an Mappe und Bleifeder.“ – Zuerst fesseln wohl Jeden die geschmackvollen
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/92&oldid=- (Version vom 3.12.2024)