Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Als Gott dem ersten Menschenpaare die Erde verlieh mit allem Zubehör, da sah er wohl voraus, daß jeder Mensch, der Tagelöhner mit seiner Kraft, der Bauer mit seinen Feldern, der Bürger mit seinen Gewerben, der Kaufmann mit seinen Schiffen, der Ritter mit seinem Schwerte etc. etc. Einer des Andern Diener seyn werde, und der Fürst sollte nach dieser Ordnung der Knecht von allen seyn. Aber im Laufe der Zeiten trennten sich die letzten Glieder los von der Kette; die Fürsten, die Diener Aller und die Hüter des Gesetzes, machten sich zu Herren Aller und stellten sich über das Gesetz, und es verwandelte sich des Ritters und Reisigen schirmendes Schwert in ein Schwert des Unterdrückers. Da wurden aus den Burgvögten Burgherren, und aus den Räubervertilgern selbst Räuber, schlimmer als alle, die sie zuvor bekämpft hatten. Fortan schützte nur Macht, nicht das Gesetz. Der Besitz mußte Bollwerke haben und da erstanden die Mauerkronen der Faustrechtszeit auf allen Höhen, bis sie wieder vergingen in spätern Zeiten mit der Ursache, die sie hervorgerufen; denn als das Recht des Stärkern ein so entsetzliches Uebel geworden war, daß es seine Begründer, die Fürsten selbst, bedrohte: da verbanden sich diese mit dem Volke zu seiner Zerstörung, und wie das Gesetz hernach wieder zu Ehren kam und der Besitz das beschwerliche Wehrzeug entbehren konnte, baute er sich auch wieder gesellig seine Wohnungen in die Tiefe. Die Burgen wurden leer, es verfiel eine nach der andern. So sind jene Trümmer entstanden, welche zu der Gegenwart von einer Zeit reden, vor deren Wiederkehr uns die Gesittung ewig bewahren wird. Bei dieser Gewißheit mögen wir lächelnd zuschauen dem ergötzlichen Spiel, das mit dem Staube des Mittelalters hie und da Resurrektionsversuche macht, und wenn nebenbei, wie es bei der Wiederherstellung seiner äußeren Erscheinungen, der Schlösser und Burgen auf unsern Höhen, der Fall ist, noch für Kunst und Gewerbe ein Gewinn abfällt, mag selbst der Tadel schweigen, wenn auch die Vernunft die Motive nicht billigen kann, welche im Widerspruch mit der Zeit und ihren Forderungen stehen.
Schloß Hohenschwangau liegt in der schönsten Gegend des bayerischen Hochlandes, in den Vorbergen der Tyroler Alpen, 1 Stunde oberhalb Füssen, dicht an der österreichischen Grenze. Es gehört dem Kronprinzen von
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/91&oldid=- (Version vom 3.12.2024)