Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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doch ist Erlösung und Tod auch da eins; denn die Ache vermengt sich unterhalb des Sturzes mit der Salzach und verschwindet. –
Hast du mit mir an der Ache Sterbebett gestanden, so führe ich dich nun auch in das stille Alpenkämmerchen, wo sie geboren wird. Drei Stunden über Gastein liegt ein Hochalpenthal, das Naßfeld. Leise wie eine Schlange windet sich dort die Ache auf der Matte, welche die Tauernkette, der Rathhausberg und andere Bergriesen umgürten. Am obersten Ende des Thals erhebt sich die Terrasse eines Felsens. Es ist das Fußgestell des ungeheuern Höllkahrgletschers, der unter den kleinern Eismassen, die rechts und links herabhängen, wie ein König unter seinen Dienern thront. Ueber jede Wand stürzen Giesbäche, Quellen rieseln von jedem Felszacken auf den immergrünen Teppich. Doch die Wiege der Ache ist weiter oben. Durch eine Schlucht führt ein schmaler Pfad hinauf zu einer kleinen Alpe auf dem Rücken eines Felsen, den ein Gletscher überragt, und hier, aus dessen krystallenem Bauche, springt die Quelle schäumend hervor. Diese kleine Matte ist zugleich die letzte Staffel des organischen Lebens. Kein Baum, kein Strauch stört; denn in der That ist die Natur hier so schön, daß jedes verhüllende Blatt ihr nur an Reiz entziehen würde.
Dem Himmel näher, zieht es uns unwillkührlich zu ihm empor. Kein tobendes Geräusch bricht unsre Andacht, kein donnernder Wasserfall hallt; aus der Ferne nur, aus unerreichbaren Höhen, spricht die Natur noch zu uns mit der verklärten Stimme der Staubbäche. Glockengeläute der Heerden auf dem Naßfelde tönt zuweilen herauf, doch kaum vernehmlich. Alles feiert. Die Gletscher leuchten in der Abendsonne, und ihre Spitzen erscheinen wie Signale aus einer fernen, seligern Welt. Umgeben von den äußern Zeichen des Todes und der Erstarrung jubelt doch Alles: Wie groß ist der Schöpfer und wie herrlich! –
Die Sonne sinkt tiefer; jetzt ist ihr letzter Strahl von den Zinnen des Gebirgs gewichen. Verwandelt sind sie, wie ein Mensch, von dem Tugend und Glaube geflohen ist. Bleich und kalt grinsen sie uns jetzt an, wie der Tod. Noch einmal, noch ein paarmal, wie das Gewissen im Gefallenen, ruft, nach dem ersten Erbleichen, das Abendroth auf Augenblicke eine feuerige Röthe auf die erblaßten Wangen der Berghörner zurück, dann sinkt der graue Nebelschleier der Nacht auf sie herab, schneller noch als auf die Tiefe. So stürzen hohe, reichbegabte Menschen, wenn sie den rechten Pfad verlassen, tiefer in des Verderbens Abgrund, als gemeine Buben.
Schauerlich wird’s uns nun auf der Höh’, und schnell schlagen wir den Pfad ein, der herunter zur gastlichen Senne des Naßfeldes führt. Dort erwartet uns ein Sitz am erwärmenden Feuer, ein Labetrunk, den indeß der Senner bereitet hat, eine lange Reihe von Wundergeschichten und Sagen vom verwünschten Kaiser des Unterbergs und seinen Schätzen, und der Nixe der Achenquelle, die im Zwielichte goldene Kühe auf ihrer Alpe weidet, tischt er auf, und mit geöffneten Sinnen horchen wir ihm zu, bis er, müde, zur Ruhe ladet.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/88&oldid=- (Version vom 3.12.2024)