Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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desselben fangen nun an, sich zu enthüllen. Was anfänglich als schwache, unbestimmte Contur am Horizonte zu erkennen war, tritt von Stunde zu Stunde bestimmter vor’s Auge; allmählich erhält auch das Bild Tiefe, Hinergrund und Rahmen. Blaue Bergketten im Innern der Insel erheben sich, schlängeln sich malerisch in der äußersten Ferne hin, und die Terrassenstufen der Landschaft werden kenntlich. Ein Leuchtthurm tritt hervor; das Thor des schönsten Hafens der neuen Welt wird sichtbar, und hinter einem Mastwald glitzern die goldenen Kreuze der Thürme von Havannah. Die Einfahrt in die prachtvolle Bay ist zwar enge, aber ganz gefahrlos. Zuerst fesseln die ungeheuern Forts, die von beiden Seiten den Hafen beschützen, Morro und Cabana; bunte Fahnen wehen von ihren Bastionen, in welchen die Geschütze vom schwersten Kaliber in drei Reihen über einander stehen. Das ganze Ufer ist geharnischt; das Meer ist gleichsam umgürtet mit Batterien, die zusammen 800 Feuerschlünde zählen. 60 Millionen harte Piaster hat Spanien auf diese Werke verwendet; und doch wurden sie 1763 von den Britten genommen. Im Hafen liegen immer eine große Menge Schiffe, gemeinlich 800 bis 1000, vor Anker; man trifft die Flaggen aller Nationen an, am zahlreichsten die amerikanische und spanische. Mitten unter dieser Friedens-Flotte voller Leben und Gewühl rasten die ernsten und hohen Thürme des spanischen Kriegsgeschwaders, drohende Blicke aus hundert ehernen Augen umherwerfend, und tausende von bedeckten Barken und Booten liegen theils an den stundenlangen Kayen, theils durchkreuzen sie die Fluthen in allen Richtungen oder drängen sich zwischen den größern Fahrzeugen umher. – Man landet. Man eilt in die Stadt, mit den Erwartungen, die man von einer europäischen Haupt- und Handelsstadt von 150,000 Einwohnern (so viele zählt jetzt Havannah) mitgebracht und – findet sich getäuscht. Alles ist herrlich in diesem tropischen Lande, nur die Städte nicht, wo sich die Menschen zusammengebaut. Auch das stolze Havannah macht keine Ausnahme. Die Straßen der eigentlichen Stadt sind gar enge, unregelmäßig, schmutzig, größtentheils mit Holz gepflastert, erfüllt von Menschen vieler Farben und Schattirungen. Doch sind alle geschäftig, alle scheinen zufrieden und behaglich. An Sonntagen zumal, wo sich alles schmückt und herausputzt, die Farbigen so gut, wie die Weißen, macht die Bevölkerung ein äußerst heiteres Gemälde; denn da hier nicht, wie in den sclavenhaltenden Staaten des Festlandes, eine Kleiderordnung besteht, die die Raçen und Tinten scharf von einander scheidet, so stolziert die putzsüchtige Creolin so gut im Schleier und seidenem Kleid umher, als die Tochter des europäischen Kaufmanns. Die Soldateska, die sehr zahlreich ist, brillirt durch ihre reichen Uniformen und ihr gutes Aussehen. Statt der unansehnlichen Rothhäute in den knappen Uniformen, wie man sie in Mexiko und Südamerika findet, sieht man hier Soldaten, die als Eliten der spanischen Armee gelten dürfen.
Durch seine Lage, welche es zur Beherrscherin der beiden Einfahrten in den mexikanischen Meerbusen macht, durch seine Festungswerke und seine natürliche Stärke, durch die Vortrefflichkeit des Hafens, der alle
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/72&oldid=- (Version vom 1.12.2024)