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Es vergeht fast kein Tag im Sommer, der dem Berge nicht auf einem oder mehren Pfaden eine Schaar Wanderer aus Nah und Fern zuführte, und an schönen Tagen häuft sich die Zahl derselben wohl so, daß man nicht sicher ist, ein Plätzchen auf der Streu zu finden, wenn man oben übernachten will, um das Schauspiel des Sonnenaufgangs zu genießen. Daß ein heiterer Himmel den Zweck der Fahrt begünstigen müsse, leuchtet ein, und es ist, bei der Unbeständigkeit des Gebirgsklima’s, der Fall recht oft (wie ich selbst mehrmals erfuhr), daß der Reisende seine Hoffnung getäuscht und sich vom nässenden Nebel eingehüllt sieht, der ihn jeglicher Aussicht beraubt. Vorzüglich gilt dieß vom Sonnenaufgang. Es gehört schon Glück dazu, Alles günstig zu finden. Doch ist die Scene auch so prachtvoll, daß es des wiederholten Versuchs, zu seinem Genusse zu gelangen, wohl werth ist. In der Zeit des längsten Tages dauert die Dämmerung auf dieser Höhe so lange, daß man noch um 11 Uhr im Freien lesen kann, und ehe die allerletzten Spuren des Abendroths im Westen verschwunden sind, zucken schon im Osten die ersten Strahlen des Morgenroths. Wird aber auch der Reisende in der Hoffnung, den Sonnenaufgang zu sehen, getäuscht, so wird er doch gemeinlich in andern Erscheinungen Ersatz erhalten, welche ihn in der Tiefe nie erfreuen. Oft kann er auf dem Gipfel im Sonnenschein wandeln, während die Wolkenwelt wie ein endloses, vom Sturm bewegtes Meer zu seinen Füßen wallt. Er steht dann gleichsam auf einer Insel, entweder ganz abgeschnitten von der übrigen Welt, oder von ihr nichts erblickend, als einzelne Bergkuppen, die, kahl, oder bewaldet, oder mit Ruinen gekrönt, ebenfalls Eilanden gleich, aus dem Ocean emporragen. Dann und wann zerreißt wohl seine Fläche, und wie am Boden eines ungeheuern Schlundes, werden einzelne Punkte der Unterwelt – Dörfer, Städte, Wälder, Felder – sichtbar. „Alles übertrifft aber ein Gewitter, das tiefer sich über die Erde hinwälzt, und die sich durchkreuzenden Blitze und das Rollen des Donners unter den Füßen des Staunenden gewähren läßt.“ Auch der Untergang der Sonne ist ein Schauspiel, das tausende von Besuchern alljährlich nach dieser Höhe lockt, zumal dann herrlich, wenn man die Zeit wählt, wo nicht lange nach dem Verschwinden der Feuerkugel des Tags die volle des Mondes im Osten hervorkommt. „Niemand kann sagen, daß er die Schöpfung von ihrer erhabensten Seite kenne, wenn er noch nicht eine schöne Sommernacht auf einem solchen Berge verlebte, wo er den weiten Himmelsbogen mit Millionen Sternen prangen, und den Glanz des Vollmonds nicht in den Flüssen und Seen der schlafenden Erde sich spiegeln sah. Das Alles folgt dem Untergange der Sonne; – nach deren Aufgang entschleiert sich zwar die Natur, aber das Alltägliche, das oft Erlebte kehrt zurück.“ –

Die Aussicht von diesem Gipfel gehört nicht bloß zu der schönsten in Deutschland, sondern auch zu den ausgedehntesten; ja, in vielen Richtungen sind die Grenzen des Gesichtskreises kaum zu bestimmen. Das Plänkner’sche „Panorama“ zählt 1039 benamte, bei günstiger Atmosphäre und hellem Himmel mit unbewaffnetem

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/65&oldid=- (Version vom 1.12.2024)