Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Das Innere der Paul’s-Kirche läßt kalt, und den peinlichen Eindruck des Oeden zurück; denn nur das hohe Chor wird gegenwärtig zum Gottesdienste gebraucht. Die Episcopal-Gemeinde ist nämlich, nach Abtrennung einer Menge Sekten, die in diesem Stadtviertel viele Bethäuser und Capellen haben, so klein geworden, daß sie auch das Chor nur nothdurftig ausfüllen kann. Die übrigen Räume tragen den Charakter der größten Verlassenheit und Unkirchlichkeit. Zwar hat man gesucht, die Nacktheit durch Aufstellung kostbarer Monumente zu entfernen; aber es ist dies schlecht gelungen. Gewiß war es kein glücklicher Gedanke, im Vorhofe des Hauses eines Alles mit Liebe und Erbarmen umfassenden Schöpfers die colossalen, von ihren Piedestalen finster herabblickenden Statuen von 30 bis 40 Kriegsfürsten zu versammeln, denen Trommeln, Kanonen, Spieße, Bomben, Kugelhaufen und alle Werkzeuge zur Zerstörung von Menschen und Menschenglück, in Marmor gemeißelt, zu Füßen liegen, und über deren Häupter zerschossene Fahnen und Standarten hängen, Zeugen und Trophäen der Siege, in welchen das Blut der Brüder in Strömen vergossen ward. Man irrt von einem Monumente zum andern, liest die Namen: – Namen von lauter Generälen, Admirälen und ihren Schlachten. Da fühlt man sich wie in der Vestibule eines Invalidenhauses, und gewiß würden diese glänzenden, blutigen Namen auf dem weißen Marmor mit sammt ihren Bildsäulen und Siegeszeichen in Greenwich und Chelsea eine passendere Stelle gefunden haben, als hier. War in der That für den schönsten Tempel der protestantischen Christenheit eine schickliche Ausschmückung so schwer zu ermitteln in dem Lande, das an Menschen, die ihr Leben edeln Bestrebungen widmen, so reich ist? Hat man das Unschickliche nicht gefühlt, als man Howard’s Statue in solcher Gesellschaft aufgerichtet? Was thun die Söhne des Kriegs neben dem Apostel der Humanität? Was die blutigen Glücksspieler der Schlachten neben der heitern Gestalt eines Engels, der den Trost in die tiefen Kerker trug und die schaudervollsten Verließe in allen Ländern den erwärmenden Strahlen der Menschlichkeit öffnete. Howard’s Monument allein – jene erhabene Gestalt, die dir voll verklärter Freude den Schlüssel entgegen hält und mit der andern Hand auf zerschlagene Fesseln hinweist – sie würde durch den an ihr entzündeten Gedanken den ungeheuern Raum ausfüllen und die Oede vergessen machen. Aber wenn man, wie es jetzt geschieht, fortfährt, Sankt Paul gleichsam zur Schädelstätte aller brittischen Schlachtfelder auf Meer und Land zu verkehren, so werden seinem Beschauer nie die Gefühle nahe treten, die ihn immer an solchen Ort begleiten sollten. Unmöglich ist’s, die Symbole des Menschen- und Völkermords mit denen der Anbetung eines väterlichen Gottes zu vereinen, unheimliche, peinigende Vorstellungen müssen jeden Betrachter bestürmen und heraus muß er sich sehnen aus dem profanirten weiten, herrliches Gotteshause in der stillen Andacht enge Zelle.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/53&oldid=- (Version vom 1.12.2024)