Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Land nur eine kurze Zeit zu plündern nöthig glaubten, um dann auf Lebenszeit geborgen zu seyn. Die köstlichen Metalle, Gold und Silber, waren es, deren Aufsuchung die Europäer vorzugsweise beschäftigte; denn keine Arbeit lohnte so reichlich, als die in den Minen. Von den Feuerbergen Patagoniens an bis zu den Gebirgen Kaliforniens wurden der Erdrinde Rippen durchwühlt, und in den Regionen des ewigen Schnees, auf den Hoch-Anden, witterte die Habsucht verborgene Schätze auf und beutete sie aus. 19,000 Minen, wo Gold und Silber gegraben wurde, standen im 16. Jahrhundert in Amerika in Betrieb, und fast die ganze Bevölkerung des Welttheils, jene wilden Indianerstämme ausgenommen, welche die Undurchdringlichkeit ihrer Wälder oder die Metallarmuth ihres Gebiets vor der Hand der Europäer schützte, bestand aus Berg- und Hüttenleuten. Als der Bergbau abnahm an Ergiebigkeit, folglich die fort und fort zuströmende europäische Einwanderung auf andere Erwerbsquellen sinnen mußte, fand man, daß der Boden neben Gold und Silber köstliche Produkte hervorbringe, die mit denen Ostindiens an Werth wetteifern konnten. An die Bergbaubevölkerung schloß sich eine ackerbauende an; die Cochenille von Mexiko, der Indigo von Guatimala, der Tabak von Varinas und Cuba, die Chinarinde von Peru, der Cacao von Caraccas, die schönen Farbehölzer Brasiliens und von Honduras, die Kultur des Kaffees und Zuckerrohrs in Westindien und Südamerika wurden für die Einwanderer nicht minder reiche Goldgruben, als die Minen selbst. Es machte sich diese Produkte Europa nach und nach zum Bedürfniß und ihr Verbrauch nahm zu fort und fort. Hätte nicht die verkehrte, scheelsüchtige Politik des spanischen Hofes die Entwickelung Amerikas gewaltsam gehemmt, sie wäre das Zehnfache und für Spanien die Quelle einer Größe und eines Reichthums geworden, für deren Umfang selbst das heutige England keinen hinlänglichen Maaßstab abgibt. Bei der steigenden Wichtigkeit der Colonien aber hatte man angefangen, den Handel unter gewisse, leicht zu übersehende Regeln zu zwingen, welches man mit dem Namen des Colonialsystems belegte. Bei diesem System hatte man den Grundsatz vor Augen, daß die Colonisten nur Agenten für den Mutterstaat seyen; daß, weil die anfängliche Eroberung des Landes und die Ansiedelung vom Mutterstaate geschehen sey, jeder Nutzen, welcher aus ihnen erwachse, auch nur dem Mutterlande zufließen müsse. Nach diesem System nun mußten die amerikanischen Colonien ihre sämmtlichen Erzeugnisse nach Spanien senden; nicht einmal der Austausch der Bedürfnisse der amerikanischen Lander unter sich war gestattet: es war Grundsatz, daß jede Colonie, was sie brauchte und nicht selbst produzirte, ausschließlich aus Spanien empfangen mußte. Es betraf dies nicht bloß die Gegenstände der Fabriken und Manufakturen, sondern es wurde sogar auf alle solche Lebensbedürfnisse ausgedehnt, welche das Mutterland erzeugte. Solche durften die Colonien nicht selbst bauen, obschon sie dieselben zum fünften Theil des Preises bauen mochten, zu dem sie Spanien lieferte. So war, um ein Beispiel von hunderten zu nennen, der Wein- und Olivenbau im spanischen Amerika bei Todesstrafe untersagt.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/46&oldid=- (Version vom 30.11.2024)