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CCCLXXV. Heliopolis in Aegypten.




Wir waren schon dreimal im Lande voller Denkmäler der frühesten Humanität. Wir sahen die Trümmer der alten Thebais, sahen die von Elephantine, sahen die Pyramiden. Jahrtausende zogen an ihnen vorüber, ohne daß sie die Hand der Zeit, oder die Faust roher Barbaren zerstören konnte.

Dießmal betreten wir einen wahrhaft heiligen Boden: – denn in Heliopolis war der berühmteste Sitz der Wissenschaften, dort war die Quelle, wo den Philosophen des griechischen Alterthums Weisheit floß, dort schrieb Herodot seine Geschichte und war Plato Schüler.

Aegypten ist mit keinem andern Lande der Welt zu vergleichen. – Abgeschlossen durch seine geographische Lage mußte sich dort das Leben ganz eigenthümlich gestalten. Alle seine Einrichtungen hatten feste Formen und bestimmte Abgemessenheit. Sie bedingten im ganzen Volke eine streng-geregelte Thätigkeit. Ein jeder Einzelne war durch Geburt seinem künftigen Berufe zugewiesen; festgezogene Schranken hielten die Stände, denen die verschiedenen Beschäftigungen oblagen, obschon alle für das Eine, den Staat, zusammenwirkten, doch geschieden. Ueber die Aufrechterhaltung dieser Ordnung wachte der oberste, sowohl leitende, als herrschende, Stand der Priester als – Stellvertreter der Gottheit. Diese Ordnung, vom Geiste des Fleißes und der Mäßigkeit durchdrungen, wurde allmählich zur Quelle colossaler Reichthümer, und durch diese und mit dem Sinne, nichts Bedeutsames im Wechsel des Lebens vorüberschwinden zu lassen und die Ereignisse, wie Thätigkeitsäußerungen, in unzerstörbarer Gestalt den Nachkommen zu überliefern, konnte das Volk im Nilthale jene unübersehliche Menge von Denkmälern schaffen, deren Trümmer die Nachwelt anstaunt.

Für den alten Aegypter waren Monumente die Buchstaben, mit welchen er die Geschichte schrieb. Es sind Tempel, Mausoleen, und die Häuser der Herrscher – Paläste. Nach ihren noch vorhandenen Ueberresten müssen wir glauben, daß die beiden Nilufer in ihrer ganzen Länge, von den Grenzen Nubiens an bis zur Deltaspitze, mit einer Reihe Ortschaften bedeckt war, die eine fast ununterbrochene doppelte Kette von 100 Meilen gebildet haben. Es wird dabei die Thatsache klar, daß der Strom der Cultur langsam nilabwärts gezogen ist, und Oberägypten das Stammland und Herz des Reiches um vieles früher als Unterägypten war,

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/228&oldid=- (Version vom 13.12.2024)