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Die Gegend von Gran ist ein Cyclus lachender und romantischer Landschaften. Ihr Juwel ist Schloß Wishegrad. – Hoch auf dem Felshaupte prangt die Ruine, die schönste in ganz Ungarn. Das Schloß war der Pallast der ungarischen Könige, – es faßte 350 Zimmer und Säle, und die Pracht des Hauses war so groß, daß der päbstliche Legat, als ihn Matthias Corvinus im 15ten Jahrhundert einführte, ausrief: „das ist das irdische Paradies!“ Es war einer der letzten Punkte, welche die Türken in Ungarn behaupteten. Erst 1686 fiel die Veste – und die erbitterten Christen machten aus dem Hause des Gekrönten einen ruinenbedeckten Todtenhügel – ein Mal der irdischen Vergänglichkeit.




CCCLXVII. Schleissheim.




Zwei Stunden von München liegt das Schloß Schleißheim. Früher war’s ein Lusthaus der bayerischen Fürsten; jetzt ist’s ein Tempel der Kunst. Die Schleißheimer Gemälde-Gallerie ist nächst der in der Pinakothek zu München die größte und werthvollste Kunstsammlung im südwestlichen Deutschland.

Das Gebäude selbst, obschon es lange Zeit ein Gegenstand der Bewunderung der Kenner war, ist nur ein Beleg für die Verdorbenheit des Geschmacks, welche mit den Jesuiten im 16. und 17. Jahrhundert aus Italien über die Alpen hereinbrach. An die Stelle des deutschen Baustyls trat damals der verschrobene italische. Das Vorurtheil der Architekten (sie waren fast ausschließlich Italiener), der sogenannten Kunstkenner, der Fürsten als Beschützer der Künste, die Gewalt der Mode endlich, setzten überall den deutschen Styl ab und herab. Fast alle Schriftsteller jener Zeit wetteiferten, ihn zu schmähen, und dieß fand um so leichter Eingang, als auch die Tonangeber für Schönheitsbegriffe, die Franzosen, damit übereinstimmten. Viele der edelsten Monumente der gothischen Baukunst wurden niedergerissen und Ausgeburten des Ungeschmacks traten an ihre Stelle. Wo man nicht niederreißen konnte, wurde wenigstens verstümmelt. Die meisten Baumeister der damaligen Zeit waren in der That bloße Bauverderber. – So wenig nun auch Schleißheim seines Styls wegen Lob verdient, so ist doch die innere Einrichtung großartig. Das Vestibül und die Treppenanlagen sind schön, die Säle und Zimmer

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/193&oldid=- (Version vom 10.12.2024)