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CCCLXV. Baktschi-Serai und der Pallast des Chans.




Auch Rußland hat sein Hesperien; es ist die Krimm, das Tartarenland, dem Potemkin mit neronischer Faust das fremde Joch aufgelegt. Es gehört freilich ein an die monotonen Ebenen seines Vaterlandes gewöhnter Sinn des Russen dazu, die Schönheiten der Krimm überschwenglich zu finden. Auch ist immer nur der südliche Theil der Halbinsel so gepriesen. Es steigen hier die Berge von Nord nach Süd allmählich auf und fallen dann gegen das Meer zu ziemlich steil ab, so daß die höchsten Erhebungen des Landes dicht an die Küste hingestellt sind. Diese Abdachung, welche Fronte gegen Mittag macht und von Nord her durch die Wälder geschützt ist, die den Rücken des Gebirgs bedecken, kommt vermöge ihrer Lage in eigenthümliche Verhältnisse. Unter dem Breitengrade von Genf weht hier sicilische Luft. Die Olive, der Lorbeer, die Orange, die Granate, die Cypresse gedeihen, die Reben geben die delikatesten Weine, und saftiger Caktus sproßt an den der Mittagssonne zugekehrten Wänden der Felsen. Alle Pflanzen des italischen Himmels kommen hier fort. So günstige, klimatische Verhältnisse haben diese Landschaft von jeher zum Schauplatz thätiger Kultur gemacht und Ansiedler aus der Ferne hergelockt: – früher die Griechen, die Römer, die Genuesen; jetzt die Russen. Während die civilisirten Nationen, eine nach der andern, im bunten Durcheinander diesen schmalen Küstenstrich besetzt hielten, in Parks verwandelten, und in prächtigen Schlössern und Landhäusern dem raffinirten Genusse lebten, trieben von jeher oder treiben noch hinter den 4000 Fuß hohen Bergkämmen rohe, einfache Hirtenvölker ihr Wesen: erst die Kimmerier, dann die Gothen, hierauf die Alanen, zuletzt die Tartaren. Die Heerden dieser Nomaden weiden auf der einen Seite des nämlichen Gebirgs, auf dessen anderer der schwelgerische Luxus sein Wesen entfaltet. –

Den Mittelpunkt der gepriesenen Landschaft bildet die Bai und der Hafen des Städtchens Jalta. Rechts und links von demselben ist das Land mit Ruinen aus den Zeiten der Griechen, der Römer, der Byzantiner, der Genuesen, und mit Schlössern und Gartenanlagen der russischen Großen besäet. Wo gefeierte Tempel der pantheistischen Gottheiten gestanden, stehen jetzt Klöster und Kapellen. So nimmt z. B. das uralte, berühmte Sankt Georgenkloster auf den Trümmern des alten Cherson die Stätte des Dianentempels ein, wo

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/183&oldid=- (Version vom 9.12.2024)