Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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heutigen Tag. – Albrecht, der darob Zornige, schickte Kriegerschaaren in’s Land und er selbst kam nach mit gewaltiger Heeresmacht, zettelte Parteiungen unter den Schweizern an, und die halfen ihm, die Freiheit zu zerstören. Zwar wagte er es nicht, den Freibrief zu zernichten, den sein Vater den drei Waldstätten gegeben; aber er schickte ihnen zu Reichsvögten zwei harte Männer, eingeweiht in seine Pläne, welche drücken und quälen sollten, daß ihnen der trotzige Muth wegfiele und sie sich an Willfährigkeit in seinen Willen gewöhnten. Er schickte den Hermann Geßler von Brunegg und den Beringer von Landenberg. Der Geßler baute sich zur Wohnung mitten im Lande Uri eine Zwingburg. Fortan war kein Recht mehr im Lande und Geßlers Wille das einzige Gesetz.
Aber dem Volke schien leichter der Tod, als das schmähliche Joch. Die Drei, die auf der Matte im Rütli in der Nacht am 17. December 1307 ihre Hände zum gestirnten Himmel hoben und vor dem Herrn, vor welchem Könige und Bauern gleich sind, schworen, zu ringen für die Erhaltung der Freiheit bis in den Tod; – sie wußten, daß ihr Schwur in jedem Herzen der Eidgenossen widerhallte, denn die Schmach war allen gleich und ihr Wehe fühlte Jeder. Aber der Geßler achtete keiner Zeichen und gedachte, den Hohn zur Qual zu fügen. Darum setzte er vor dem Thore seiner Burg, hart an der Landstraße, die Jeder ziehen mußte, den Hut von Oesterreich auf eine Stange, daß ihm sich Jeder verneige, der des Wegs käme; daran, so verkündigte er, wolle er erkennen, wer für, wer wider Oesterreich sey.
Und Wilhelm Tell, der Schütze aus Bürglen im Uri, trollte mit seiner Armbrust und seinem Buben vorüber, blickte hinan zum Hut, stand still und aufrecht, und neigte sich nicht. Alsbald nahmen ihn die hütenden Knechte fest und führten ihn vor den Vogt; dieser, im Uebermuthe des Tyrannenkitzels, befahl die That, die jeder Knabe weiß. Als nun der furchtlose Mann dem Geßler auf die Frage: „warum nahmst Du zwei Pfeile?“ zur Antwort gab: „der zweite galt Dir, im Fall ich fehl geschossen!“ da ließ er den Mann binden und in das Boot werfen, mit dem er nach Küsnacht zu schiffen trachtete, um ihn dort, fern von der Heimath, zu verderben. Unterwegs schickte Gott den Föhn, daß er wühle das Wasser des Sees zu Bergen auf, und in der Todesangst lies Geßler dem starken Tell die Ketten abnehmen, das Steuer zu fassen und zu retten. Er thut’s und rudert; aber, am Gestade, bei’m Axenberg, wo die nackte Felsplatte in den See tritt und jetzt das Kirchlein steht, ― da der Tell hinaus auf die Platte und das Schiff hinaus in die See! Frei war der Tell; aber wohin vor dem Vogt? Wie auch konnte er Weib und Kind als Pfand in des Tyrannen Band lassen? wie ertragen die Schmach, die man in ihm dem freien Volke angethan? – Ihn band ein Eid! –- denn (so läßt ihn Schiller reden:)
„Im Augenblicke – als mir die Hand erzitterte,
Als du mit grausam teuflischer Lust
Mich zwangst, auf’s Haupt des Kindes anzulegen –
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/165&oldid=- (Version vom 8.12.2024)