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CCCLX. Das Troitzker Sergiuskloster.




In frühern Jahren hatte für mich der Besuch eines Klosters ein Interesse eigner Art. Jeder Mönchsverein war mir eine Maskerade auf der jedermann die nämliche Maske trug, und ich hielt das Auskunftsmittel, inkognito durch die Welt zu kommen, für gar nicht übel. Sah ich Mönche, – kämpften alsbald Scherz und Ernst in meinem Kopfe, und ich habe nie mehr Sehnsuchtsklopfen nach Preßfreiheit gehabt, als in einem Kloster, so wie ich nie gottlosere Gedanken hatte, als bei einer Reliquien-Ausstellung. Jetzt hat sich das geändert. Nicht daß ich gerade ein besonderes Talent zum Noviziate der Karthäuser an mir verspürte, oder Drang zum Wallfahrtengehen nach Vierzehn-Heiligen: die hohen Wogen des Gefühls schlagen aber nicht mehr in die Brust des alternden Mannes bei jeder Thorheit. Wie wenig gehörte sonst dazu, meine Seele in Allarm zu bringen und ihre Kräfte in’s Gewehr zu rufen, sey es zum Widerstand oder zum Angriff! Jetzt kann ich lange am Strome der Zeit sitzen und viel vorüberschwimmen sehen, ehe ich nur ein Wort, oder eine Feder rege. Der spleengeplagte, ehrliche Börne sagte einst von sich: „ich bin stumm geworden wie ein Staatsgefangener, und mein Gewissen hat sich weit gemacht, so wie das eines Königs;“ – ich mag das nicht von mir sagen; doch kann ich in ein Kloster oder in eine Jesuitenspelunke hineinschauen, ohne daß die Lust mir anwandelt, einen Feuerbrand hinein zu schleudern. Allenfalls einen Voltaire wünsche ich hinein, einen Voltaire in der Kutte, daß er, als unbekannter Gast, die Schelmereien, die Ränke, die Missethaten sehe, das Feuer schüre, in Schadenfreude und Bosheit schwelge, und dann das Gesehene, das Erlebte, lachend der Welt wieder erzähle. –

Das Troitzker Sergiuskloster ist das heiligste, reichste, größte nicht blos in Rußland, sondern in der griechischen Christenheit. Es liegt beim Städtchen Troitzkoi, einige Meilen von Moskau. Es ist eigentlich ein Agglomerat von neun Klöstern – von denen jedes seine eigene Kirche hat, welche alle, sammt dem kaiserlichen Palast, die äußere Mauer umschließt. Die Stiftung rührt vom heil. Sergius her, und Volk und Staat fundirten sie seitdem mit Millionen. Die Herrlichkeit von Heiligen-Bildern, -Gebeinen, -Catacomben, -Särgen und von goldnem und silbernem Kirchenschmuck ist hier groß; au reste, cest tout comme chez nous.



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/158&oldid=- (Version vom 8.12.2024)