Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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eilte, der Erste im ausgesetzten Boote zu seyn. Einige Minuten banger Erwartung (denn die Brandung spritzte mit jedem Ruderschlage herein) brachten uns zum Ziele – wir waren am Eingange. Unsere Vorstellungen von der Pracht des Anblicks, die hochgespannten, fielen vor der Wirklichkeit in nichts zusammen. Wie soll ich beschreiben! Wo die Poesie nicht ausreicht, da ist das prosaische Wort fürwahr zu arm. Rechts und links strecken die 50 Fuß hohen Colonnaden unabsehlich sich aus, und zwischen ihnen ist der Eingang: – dieser das colossalste Portal der Welt, 117 Fuß hoch mit einer Breite von 40 Fus. Der Boden desselben ist uneben; die Köpfe der Basaltsäulen, die ihn bilden, geben ihm jedoch das Ansehen der schönsten Parkettirung. Säule an Säule, von glänzend schwarzem Basalt, reiht sich an den Seiten hin. Die Wogen schlagen tief in die Höhle hinein, und das blendende Weiß des Schaums tanzt gespenstig an den Wänden hinauf. Die ganze Länge dieses Naturtempels ist 370 Fuß, und die himmelanstrebenden Säulenbündel tragen ein Gewölbe, das alle Dome der Welt beschämt. Verhältnisse und Formen an diesem Werke sind ganz originell und das Ganze ist die sublimste Harmonie! Tiefer hinein neigt sich der Boden, die Fluth bedeckt ihn ganz, einzelne Säulenstümpfe ausgenommen, auf denen man, freilich mit großer Beschwerde, zu Fuß bis an’s Ende vordringen kann. Eine solche Tour, die nicht ganz ohne Gefahr ist, hat was dämonisches. Rechts und links braust die Brandung im schwarzen Abgrunde; nirgends ein Anhaltspunkt. Die Meisten unserer Gesellschaft kehrten verzagt um; ich aber zog die Schuhe aus, um desto sicherer auf den schlüpfrigen Säulenfragmenten fortkommen zu können, und unter Herzklopfen kamen wir auch glücklich an’s Ende und zu dem Punkte hin, wo man den geheimnisvollen Symphonieen lauscht, welche die Fingalshöhle so berühmt gemacht haben. Lautlos horchten wir, lange vergeblich, bis wir endlich deutlich die Sphärenmusik vernahmen – zuerst leise, dann anschwellend zu immer grandiosern Tonmassen, zuletzt dem Rollen des Donners gleich, der uns Alle erbleichen und zittern machte. Die Ton-Uebergange hängen von der Weise ab, in welcher die akustischen Fibern des Baues durch die an den Basaltwanden sich brechenden und brandenden Wogen berührt werden. – An mehren Stellen dieses herrlichen Gotteshauses haben Menschen, frühere Besucher, unbekannte Namen eingemeißelt. Mir kam es vor, wie Sakrilegium! Viel ehrwürdiger, als jene Brüder des Nichts, erschien mir die schaumige Welle deren Lobgesang ich horchte. Wie gewaltig und zermalmend aber mag die Hymne seyn in Sturmesnacht, wenn die thurmhohen Wogen des ergrimmten Oceans des Riesenportals Giebel küssen, und die Brandung die Casetten des Gewölbes tauft. Die Musik ist für den Allmächtigen allein. Kein menschliches Ohr hat sie je vernommen, keins auch könnte sie ertragen.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/14&oldid=- (Version vom 29.11.2024)