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eine Nichte, welche durch Schönheit und Anmuth alles bezauberte, was sich ihr nahete. Als Karl V. in Augsburg Reichstag hielt, wohin ihn sein Bruder, Ferdinand, nachmaliger Kaiser, begleitete, sah dessen Sohn, der 19jährige Erzherzog Ferdinand, im Welserschen Hause oftmals die schöne Bürgermaid, und in beider Herzen leuchtete bald die innige Liebe. Aber über der Liebe wachte in Philippinen die Sittsamkeit und der Stolz der Tugend. Nur am Altare war für den Erzherzog Vereinigung zu hoffen. Er ließ sich daher trauen mit Philippinen, ohne Vorwissen seines Vaters, ohne Einwilligung des die halbe Welt beherrschenden Onkels. Der Vater verwies den unlöslich Verbundenen zürnend auf die einsame Burg im Innthale. Da floh von ihnen der fürstliche Glanz; aber das größte irdische Glück – das häusliche, welches die Liebe täglich neu schmückt, das – kehrte dafür ein. Acht Jahre lang waren die Getreuen aus den Augen des Vaters verbannt gewesen – als ihm eines Morgens eine Frau unter fremden, angenommenem Namen eine Bittschrift überbrachte. Betroffen von ihrer Schönheit und der Würde und Anmuth ihres Wesens, sagte ihr der Kaiser schmeichelhafte Worte. Da schöpfte sich Philippine ein Herz, umfaßte des Kaisers Kniee und flehte Vergebung für ihren Gemahl. Er verzieh Beiden und erklärte ihre Kinder für legitim; nur sollten sie den Titel Erzherzöge nicht führen, sondern den der Markgrafen von Burgau. So großherzig war Ferdinand nicht, daß er zum Herrn sich hätte machen können über alles Vorurtheil, – daß er daran gedacht hätte, wie der Habsburger Ahnherr auch nur Einer gewesen aus ritterlichem Stamm. 30 Jahre dauerte die immer glückliche Ehe und noch nach der Welserin Tode ehrte sie Ferdinand durch eine Denkmünze mit ihrem Bilde und der Randschrift: „Der göttlichen Philippine“ (Divae Philippinae.) Von ihren beiden Söhnen wurde der älteste Cardinal; der andere aber führte die Heere des Habsburger Hauses in Ungarn und in Spanien mit Ruhm; doch kinderlos dorrte mit ihm der Zweig wieder ab, der jener seltenen Verbindung entsproßt war. Auch der Welser Reichthum zerrann in den Händen ihrer Erben – die amerikanischen Besitzungen verschlangen die Tonnen Goldes, eine nach der andern, und konnten dennoch nicht behauptet werden, und weniger glücklich als die Fuggers, welche fürstliche und gräfliche Namen und große Besitzungen in die Gegenwart gebracht haben, zerstreute sich die Familie nach Ulm, Nürnberg, Wien – und trat in die Dunkelheit zurück. Nur die Liebe verklärt den Namen noch und ihn segnet der edle Wohlthätigkeitssinn Philippinens, der in vielerlei Stiftungen bis heute fortwirkt. Fremde Hand schrieb einst auf ihren Grabstein: „Den Jammer auf Erden konnte ich nicht tilgen; aber viel Jammernde nennen meinen Namen und denken an mich in Liebe.“



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/121&oldid=- (Version vom 5.12.2024)