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nur eine Andeutung von der Größe des eigentlichen Kirchenschatzes. Gegen diesen gehalten erscheint der Reichsschatz im Londoner Tower unbedeutend. Staunend sieht man die Menge der aus dem köstlichsten Stoffe gefertigten Kirchengefäße, die Kelche, Ciborien, Leuchter, Krummstäbe aus reinem, mit Diamanten und Edelsteinen bedeckten Golde, die funkelnden Stolen und Meßgewänder und die Staatsroben, in welche, an ihren Fest- und Ehrentagen, die Heiligen- und Marienbilder auf den Altären in den Kapellen gekleidet werden. – Man betrachtet verwundernd diese im Laufe der Jahrhunderte aufgespeicherten todten Schätze, und fragt sich, was sollen sie hier im Hause des Herrn der Welt? was sollen diese stolzen, pomphaften Gewänder den Jüngern des Weisen, der von allen Gütern der Erde nicht eine Scholle besaß, sein Haupt darauf zu legen? Unmöglich kann der Schöpfer mit solchem Flitterstaat in die Seelenpforte des wahrhaft Frommen treten, und wenn dieser mit betenden Handen hinaufblickt zur blauen Decke des Doms, ist’s gewiß nur das Sehnen und Ziehen seines Herzens nach dem Himmelsblau, dem unabsehlichen Land der Ewigkeit, womit der Allliebende seine Erde und Menschen tröstend umringt hat.




CCCLII. Schloss Ambras bei Innsbruck.




Im weiten Innthale, drei Viertelstunden von der Hauptstadt Tyrols, auf dem Scheitel einer sanftansteigenden Höhe, steht Schloß Ambras, einst viel besucht um seiner jetzt in der Hauptstadt Oesterreichs aufgestellten Kunstsammlung willen, in der deutschen Romantik aber ein immerfort gefeierter Name. Blos ein Castellan wohnt jetzt in diesem Schlosse, wo einst Ferdinand von Oesterreich mit der schönen Welserin lange und glückliche Tage der treuesten, gegenseitigen Liebe verlebte. Bartholomäus Welser, der steinreiche Augsburger Kaufherr, der mit Fuggern Kaiser Karl V. 12 Tonnen Goldes vorschießen konnte, jener unternehmende Mann, der Flotten ausrüstete, um in der neuen Welt deutsche Colonien anzulegen und der sich ein Reich (Venezuela) eroberte, das größer war, als ganz Deutschland – dieser mit dem Titel eines kaiserlichen geheimen Raths geschmückte Patrizier hatte

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/118&oldid=- (Version vom 5.12.2024)