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CCCXXX. Jona und Staffa; – die Fingalshöhle.




In des Universums unermeßlichem Raume kömmt sich der Mensch wie eine Eintagsfliege vor, die über dem Strome der Ewigkeit in der Abendsonne spielt, und der Erdcoloß selbst erscheint wie ein Blatt im Walde, das sich entfaltet, grünt, welkt, abfällt und vergeht. Erst der tiefern Betrachtung erschließt sich in einem solchen Blatt eine Welt voll Leben, erst sie sieht nichts Todtes auf der Erde. Alles, was dem sinnlichen Auge als leblos erscheint, ist in der That nur ein anderer Leib für dasselbe Seyn, und jede Form, der Strom wie das Meer, das Thal wie der Hügel, der donnernde Wasserfall, wie der brüllende Feuerberg, – Alles, Alles, vom Sonnenstäubchen an bis zur Milchstraße herauf, deren Millionen-Sonnen-Leben in einem einzigen aufgeht, datirt eine unendliche Ahnenreihe von Verwandlungen, bis zu dem Augenblick zurück, wo der einzige Gott sein „Werde“ sprach. In diesem allgemeinen Lebendigseyn ist ein unendlicher Trost verborgen. Mir ist es der sicherste aller Bürgen für meine eigene Unsterblichkeit.

Darum ist mir auch die Natur in allen Formen heilig, und nirgends wird mir so wohl, als wenn ich, entrückt dem Menschengewühl und seiner Plage, auf dem Gipfel eines Berges, oder im stillen Waldgrund mich in die Mitte eines Lebens versetzen darf, das Jeden, der ihm mit empfänglichem Herzen entgegentritt, mit Liebe bewillkommt. In jedem Grashalm, in jeder Staude, in jedem Baume, in jedem Wurm, der über meinen Pfad kriecht, im Fels, im Sturze des Bachs, im Hügel, den mein Knabe überspringt, und im blaugekleideten Riesen am Horizonte sehe ich ein Leben voller Schönheit und voller Liebe, und in jeglichem Blumen- und Käferauge spiegelt sich mir die hohe, milde Gestalt des Herrlichen wieder, den mit mir alles Lebendige Vater nennt und preist.

In meinem schweren Beruf, der mich gefangen hält, ist mir selten solche Seligkeit vergönnt. Wird der Leser es glauben, daß der Mann, mit dem er am Zauberstabe des Worts die Welt durchwandert, Jahre lang nicht über die nächsten Berge des Städtchens kam, daß mehr Schicksal, als eigner Wille, ihm nach einer an Erfahrungen, Wechseln und Stürmen überreichen Jugend, zum Mittelpunkt seines Wirkens auserkohr? und doch zieht er mit diesem Wirken ein Band um den Erdkreis. –

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/11&oldid=- (Version vom 29.11.2024)