Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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Die Ursachen, welche das verwirrende Chaos der Erdrinde gestaltet haben, blieben zu allen Zeiten des Erdalters die nämlichen. Vulkane und Erdbeben waren und sind noch gegenwärtig die Hauptmittel, deren sich unser feuerflüssiger Planet bedient, seine verschlackte Kruste, seine Continente und Meere zu verändern. Es laufen in verschiedenen Richtungen vulkanische Linien über die Erdkugel hin, welche beständig Ausbrüchen und Erschütterungen ausgesetzt sind. So läuft die Linie der Anden durch die neue Welt ihrer ganzen Erstreckung nach von Süd nach Nord, vom Feuerland bis zu den Aleuten, ja sie läßt sich aus ihren Wirkungen selbst unter dem Ocean hin bis zu ihrem Anschließungspunkte an jene Reihe vulkanischer Heerde verfolgen, welche von Kamtschatka nach Japan, den Philippinen, Molukken bis in die südlichsten Glieder der asiatischen Inselkette sich ausdehnt. Der stille Ocean ist demnach von einem Gürtel thätiger Vulkane umgeben, während sich aus den, vom Senkblei unergründlichen Tiefen jenes Meeres zahlreiche Coralleninseln erheben, die meistens durch ihre Kegelform darauf hindeuten, daß sie einen alten Krater bergen. Eine zweite, uns nähere Vulkanen-Zone geht von Ost nach West, und ihre Schreckensherrschaft erstreckt sich von den blühenden Thälern Persiens, über Kleinasiens und Griechenlands herrliche Gefilde hin durch die alten Sitze der europäischen Kultur bis zu dem Atlantischen Meere. Zwei sich einander durchschneidende Linien lassen sich um die Erde ziehen, welche den heftigsten Stößen ausgesetzt ist. Zu beiden Seiten derselben strahlen die Bebungen aus, anfangs mit zerstörender Macht begabt, bis sie in schwachen Oscillationen endigen, die unfähig sind, die Bodengestaltung zu verändern. Solche Schwingungen erstrecken sich oft mehre hundert Meilen weit; sie pflanzen sich in der Erdkruste fort, wie der Schall in der Luft.
Nur wenn der Riß so tief ist, daß er von der Kruste der Erde bis zur feuerflüssigen Masse derselben niederreicht, können sich Laven entleeren. An den Schichten dieser Laven mißt der Geologe, wie der Botaniker aus den Wachsringen des Stamms das Alter des Baums berechnet, das Alter der jüngsten Erdrinde. Ungeheuer weit liegt deren Geburtstag für den gewöhnlichen Begriff des Menschen zurück. 3000 Fuß über der Basis des Aetna, zwischen Schichten von Lava und Bimsteinen, findet man Muschelbänke, welche über 200 Arten von Fischen und Schaalthieren enthielten, die denjenigen, welche noch jetzt im Mittelmeere leben, völlig gleich sind. Diese Thiere gehören also der letzten, der jetzigen Erdrinde an; augenscheinlich hob sie ein ungeheuerer Ausbruch aus dem Grunde des
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/93&oldid=- (Version vom 27.10.2024)