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verdienen, um das Leben zu fristen, dafür aber mit lebenslänglicher körperlicher Verkrüppelung und geistiger Verdummung büßen müssen. Der Grundsatz, daß sich die Anstalt durch die Arbeit ihrer Insassen erhalte und ihre Kosten selbst decke, wird allerdings streng durchgeführt; aber dabei wird für die geistige und sittliche Ausbildung der Zöglinge gewissenhafte Sorge getragen, und auf solche ein großer Theil der Zeit verwendet. Unter diesem Haufen junger Leute, aus der Hefe der Gesellschaft stammend, wird man nie einen Fluch noch Schwur hören; kein Spotten, kein Schmähen, kein Drohen, kein ungezogenes, kein überhartes Wort hat hier statt. Geräuschlos greifen die Menschen zum verschiedenartigsten Wirken in einander. Wehrli, ein Freund Fellenbergs, leitet diese Anstalt seit länger als zwanzig Jahren.

Nachdem Fellenberg auf erwähnte Weise für Erziehung beider Extreme der Gesellschaft gesorgt hatte, stiftete er 1830 sein sogenanntes Realinstitut für den Mittel- oder Bürgerstand, für die Gewerbe. Auch in dieser Anstalt sind Unterricht und Erziehung, Lehre und Leben so gestellt, daß sie sich gegenseitig auf das innigste durchdringen und ergänzen. Jene ächte Industriebildung, deren Bedürfniß man überall so sehr fühlt, wird hier vollkommen errungen. Viele Realschulen des Auslandes holten bei Fellenberg Ideen, Lehrer und Muster. – Zwölf Jahre lang bestand auch eine Mädchenerziehungsanstalt in Hofwyl, zur Bildung von Hausfrauen für die mittlern und untern Stände. Späterhin fand es Fellenberg jedoch zweckmäßiger, an die Stelle eines eigenen Instituts den Unterricht in den Ortschaften selbst treten zu lassen. – Von gesegnetem Einfluß ist ein sechstes Institut Fellenberg’s, – das der Normalkourse für Landschullehrer. Mit beispielloser Hingebung und Uneigennützigkeit widmet sich der edle Mann der Aufgabe, die Schullehrer der benachbarten Cantone jährlich 2 Monate lang nicht blos in der bessern Erziehungsmethode zu unterrichten, sondern sie während dieser Zeit auch in seinem Hause gastfrei zu unterhalten.

Fassen wir die Resultate der Fellenbergischen Schöpfungen zusammen, erwägen wir, welche Opfer denselben gebracht worden sind[1], so müssen wir uns in Verehrung vor dem Manne beugen, der alles das als einfacher Privatmann, blos auf die Reinheit und Kraft seines Willens gestützt, vermocht hat. In Hofwyl ist der Menschheit gezeigt, was geschehen kann und geschehen müsse, um dem einreißenden Civilisationsverderben einen haltbaren Damm entgegenzusetzen. Was dort praktisch ausgeführt worden ist, schlägt die Furcht Derer nieder, welche an einem Heilmittel gegen das sittliche Erkranken der Zeit verzweifeln, und es richtet den Muth des Menschenfreundes auf. Fellenbergs Ideen verlangen keinen künstlich bereiteten Boden. Sie sind überall ausführbar, wo sie hin verpflanzt werden, und, allgemein in’s Leben geführt, würde sie wahr machen, was Welker in Bezug auf sie sagt: „Es werde dem Geiste Grund gegeben auf der Erde und er bestimmt die Ordnung einer Welt.“




  1. Fellenberg verwendete sein ½ Million Franken betragendes großes Vermögen ausschließlich auf die Ausführung seiner philanthropischen Zwecke. Er hat überdies Verfügungen getroffen, das seine gesammten Anstalten und ihre Fonds als Geschenk an den Staat übergehen, dem er dagegen die Verpflichtung auflegt, sie in seinem Geiste fortzuführen.
Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/90&oldid=- (Version vom 27.10.2024)