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In enger Wechselwirkung mit diesen Verhältnissen steht die wunderbare Vermehrung der Communikationsmittel. Bisher hat die Sucht nach Vergnügen und Genuß in den höhern Classen der Gesellschaft am meisten Rechnung dabei gefunden, obschon es gewiß ist, daß mit der Zeit auch den unteren Classen die Vortheile zu gut kommen werden, welche jetzt den höhern vorzugsweise werden. Wo vor 20 Jahren Einer reiste, reisen jetzt Fünf, und in 20 Jahren werden so viel Hundert reisen. Bei dieser friedlichen Völkerwanderung müssen nothwendig jene Länder am meisten gewinnen, welchen der Schöpfer am freigebigsten die Reize verlieh, nach deren Genuß der Mensch am allermeisten verlangt: ein mildes Klima und eine schöne Natur.

Auch Sicilien nimmt reichlich Theil an der allgemeinen Aerndte. Seitdem Dampfbootrouten die Hauptstadt der Insel mit Neapel, Malta, Marseille, Livorno und Civita-Vecchia verbinden, werden mit jedem Jahre die Schaaren größer, welche Sicilien zum Ziele ihrer Forschungs- oder Vergnügungsreisen erkiesen. Man berechnet, daß sich binnen einem Lustrum die Zahl der Reisenden dorthin verdoppelte. Kein Wunder! Denn was die Natur Reizendes und Großes auf einen verhältnismäßig kleinen Raum der weiten Erde zusammen drängen konnte, hat sie in Sicilien versammelt, und was geschichtliche Erinnerungen vermögen, ein Land interessant und ehrwürdig zu machen, findet sich hier in reicher Fülle. Die großen Denkmäler von kaum noch dem Namen nach bekannten Nationen, die Riesenwerke alter Baukunst, welche wir nur bewundern, nicht nachbilden können, und die uns noch in ihren Trümmern mit heiligem Schauer durchbeben, wetteifern hier mit den seltsam geformten, kühn den Wolken anstrebenden Gebirgen und zeigen sich noch nach 3000jährigen Zeitstürmen als des Landes herrlichsten Schmuck. In keinem andern Theile der Erde findet der Alterthumsforscher reichere Ausbeute, und das hochgepriesene Rom selbst darf seine Denkmäler denen Siciliens an Größe und erhabener Schönheit nicht vergleichen. Rom’s Monumente gehören blos einer Zeit an, der kurzen Epoche seiner Cäsaren. Alles andere deckt die Nacht. In Sicilien hingegen umfassen nur allein die Monumente des griechischen Alterthums ein ganzes Jahrtausend, und den Bildungsgang der edelsten Kunst kann der Kenner Schritt für Schritt verfolgen. An die griechischen Denkmäler reiben sich die Monumente, welche die herrschende Siebenhügelstadt der Welt hinterlassen, und von diesen ausgehend kann der Forscher die ganze Stufenleiter des Kunstverfalls späterer Seiten hinabsteigen, wo sich griechische, ägyptische, arabische Style bastartartig zusammengatten, bis endlich germanischer Sinn unter Normannen und Barbarossa die Architektur zur herrlichen Selbstständigkeit von neuem erhob. Von dieser Epoche folgt er ihr leicht durch eine abermalige lange Periode des Verfalls bis zur Gegenwart. – Aber nicht blos für den Kunstforscher, auch für Diejenigen, welche die mildern Himmelsstriche aufsuchen, um eine schwankende Gesundheit zu befestigen, ist Sicilien, wo Luft, Vegetation, der südliche Ton der Landschaft und der heitere Himmel gleich entzücken, ein gefeierter Name. Könnten unsere invaliden Touristen nur bequem durch dieses Paradies fahren, so würden sie dahin wallfahrten, wie nach Florenz, Rom und Neapel.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/77&oldid=- (Version vom 27.10.2024)