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mehre; – Canton, und so jede andere größere Stadt China’s hat ein Findelhaus und eine Versorgungsanstalt für solche alte, kranke und blinde Leute, denen sich Niemand annehmen mag; auch ein Hospital für Aussätzige, deren Loos in China erbärmlich ist, da sie beim ersten Erscheinen der Krankheit von ihren Familien verstoßen werden mit Verleugnung der heiligsten Gefühle. Uebrigens haben nur die wenigsten Armen öffentliche Unterstützung anzusprechen, da, nach dem löblichen Begriffe der Chinesen, der reichere Anverwandte für die ärmeren zu sorgen hat, und es der Familienstolz schon nicht gestattet, sie andere Unterstützungen suchen zu lassen.

Außer den erwähnten Stadttheilen auf der Terra Firma ist ein keineswegs unbedeutender Theil Canton’s beweglich und auf dem unsichersten aller Elemente zu suchen. Wohl an 30,000 Menschen haben nämlich ihre Wohnungen in Junken, Barken und große Boote gebaut, letztere ihrer Form wegen Eierhäuser genannt. Sie machen einen sonderbaren Anblick. Zu beiden Seiten des Flusses an einander gereiht beherbergen sie meistens Schiffer, Bootknechte und solche Arbeiter, die sich mit dem Aus- und Einladen der Schiffe, dem Wasserbau etc. etc. beschäftigen. Diese elenden Wohnplätze sind 10–15 Fuß lang, 6–10 Fuß breit und so niedrig, daß ein Mann kaum aufrecht stehen kann. Ihre Bedachung ist von Bambus oder von alten Matten, die als Segel ausgedient haben. In einer solchen Hütte ist eine oft zahlreiche Familie eng zusammengedrängt. Die „Wasserbevölkerung“ hat eigene Gebräuche und Gesetze, und lebt unter dem Drucke öffentlicher Verachtung. Ein Mädchen aus der Stadt würde sich geschändet glauben, wenn sie auf’s Wasser heurathen sollte. Dennoch herrscht unter dieser armen Volksmasse Ordnung und Zucht.

Eines der häufigsten Verbrechen in Canton und in China überhaupt ist der Diebstahl, der Verkauf und der Mord der Kinder, durch zwei große Uebel der chinesischen Gesellschaft, das Conkubinat und die Sclaverei, befördert. Ein drittes und vielleicht das größte von allem ist der Gebrauch des Opiums. Er hat mit dem Anfang dieses Jahrhunderts in einem Entsetzen erregenden Grade zugenommen, und dehnt sich jetzt über alle Stände aus. Seit 40 Jahren hat sich die Einfuhr von Opium in China verdreißigfacht. Vergeblich erschöpfte sich die Gesetzgebung, um dem zerstörenden Genusse dieses Giftes Einhalt zu thun; vergebens hat sie gewarnt und die Opiumesser mit allen Martern gezüchtigt, ja mit dem Tode bestraft; unaufhaltsam hat das Uebel um sich gefressen und die ganze Gesellschaft verpestet. – Der letzte bekannte Versuch des Gouvernements, es bei der Wurzel anzufassen, droht mit welthistorischen Folgen, wenn nicht andere Gründe, als die zweideutige Moral der Handelspolitik, England veranlassen, das „himmlische Reich,“ dessen ganze Marine nicht 5 britischen Fregatten widerstehen kann, noch eine Zeitlang ruhig fortvegetiren zu lassen.

Canton hat für die chinesische Regierung, abgesehen von seiner Wichtigkeit als alleiniger Markt für europ. Importen und den Export der Landes-Erzeugnisse, noch ein Interesse eigenthümlicher Art, als Heerd jener unheimlichen

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/41&oldid=- (Version vom 26.10.2024)