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des europäischen Seevolks. In der Fronte jeder Faktorei ist eine Flaggenstange aufgerichtet, von welcher an Festtagen die Nationalfarben wehen. Auch ist in der englischen Faktorei jeden Sonntag protestantischer Gottesdienst, wozu ein eigener Geistlicher angestellt ist, – gegenwärtig der gelehrte Morrison, dem die Wissenschaft für die Kenntniß der chinesischen Literatur und Sprache schon so Vieles verdankt. Hinter und zur Seite der Faktoreien dehnt sich die vorgenannte Kaufmannsstadt selbst aus, ein Durcheinander von engen, krummen und winklichen Gassen und schmalen, sich in allen Richtungen durchkreuzenden Stegen, in welchen Läden an Läden sich reihen und am hellen Tage die bunten Lampen glitzern, während die obern Stockwerke durch Dachfenster ihr Licht erhalten. Doch sind alle Gassen reinlich geplattet und neben den Häuserreihen mit schmalen, erhöheten Trottoirs versehen. – Unbeschreiblich ist das Leben in diesem Labyrinthe. Vom Morgen bis zum späten Abend ist es vollgepfropft von durcheinanderschreienden emsigen Chinesen, von Lastträgern, Wasserträgern und Handelsleuten, die ihre Waaren in Körben, welche an beiden Enden einer auf der Schulter getragenen Stange hängen, schreiend und singend ausbieten. Wo irgend ein geräumiges Plätzchen ist, da liegen auf Tischen und in kleinen Buden Waaren aus, oder es gibt ein chinesischer Policinello seine Schwänke einem gaffenden Auditorium zum Besten, oder es sind Heuschreckenkämpfe zu schauen, die den Chinesen eben so sehr, als den Britten seine Hahnenkämpfe, ergötzen, und wie bei diesen, Wetten veranlassen. Die Heuschreckenmännchen werden dazu sorgfältig abgerichtet und in hübschgeformten Papierhäuschen häufig zum Verkauf umhergetragen. Das beschwerlichste in diesem dichten Menschengewühle ist das öftere Begegnen von Palankins chinesischer Damen, deren Miniaturfüße das Gehen auf der Straße unmöglich machen, und die daher bei jeder Entfernung vom Hause sich des Palankins bedienen müssen. Unerbittlich schreiten die handfesten Träger mit ihrer schönen Last voran, und wehe Dem, der sich nicht zeitig vor den scharfen und vorstehenden Ecken ihrer bunten Käfige und vor ihren knochigten Händen flüchtet. Am schlimmsten ist man daran, wenn man in der Mitte einer langen Gasse mit einem Zuge zusammentrifft, der daher kommt, eine Braut zu freien. Der Preis, für welchen die Braut gekauft ist, wird in lackirten oder vergoldeten Körben und Wannen auf Tragbahren ausgelegt, und hinter und vor denselben zieht, die ganze Breite der Gasse einnehmend, die Verwandt- und Freundschaft des Bräutigams, mit eigens dazu miethbaren, schönaufgeputzten Laternenträgern, Dienern und Musikanten, die einen Lärm machen, daß einem Hören und Sehen vergeht, und durch den der Erfahrene schon von Weitem gewarnt wird, straks umzukehren und einen andern Weg einzuschlagen.

In der Kaufmannsstadt hat jedes von den Chinesen getriebene Handwerk seinen ihm angewiesenen besondern Wohnort. Die Theehändler und Seidenweber occupiren ein ganzes Quartier. Dicht an den Faktoreien ist das der Zimmerleute, nahe dabei das der Schreiner, dann folgen die Lakirer, nach diesen die Maler. Silber- und Goldschmiede, Elfenbeinschnitzer, Porzellainarbeiter bewohnen schöne Straßen. Nirgends in der Welt sieht man solche Massen der kostbarsten Porzellaingefäße und Elfenbeinschnitzereien zusammen, wie hier. In den Straßen

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/39&oldid=- (Version vom 26.10.2024)