Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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kömmt, und das Häusermeer verschwindet hinter dem grünen Kranze bis auf die hervorragenden Kuppeln und Thürme und den Dom, dessen ungeheuere Masse alles andere beherrscht. Eine Säule an der Grenze der Stadtmarkung trägt die Inschrift Milano. Freudig pocht das Herz, wenn man den Namen liest. Bald hält man vor dem colossalen Bogen des Weltstürmers, vor Napoleons Arco del Sempione, dem schönsten Thore Mailand’s.
Mailand ist eine sehr alte Stadt. Sie wurde gegründet ungefähr 400 Jahre vor Christi Geburt von Galliern, welche die Tusker am Ticin überwunden und vertrieben hatten. Sie war der Hauptort des Volkes der Insubrer und schon zu Polybius Zeiten groß. Trajan erhob sie zu einer römischen Munizipalstadt, und frühe ward sie berühmt als Wiege der Wissenschaft und Kunst. Das Christenthum schlug in Mailand Wurzel schon zur Apostelzeit, der heil. Ambrosius zierte den erzbischöflichen Stuhl, der nämliche, welcher einst mit heroischer Kühnheit dem Kaiser Theodosius den Eingang in seine Kirche verwehrte, bis er öffentlich Buße gethan habe für den im Zorne an Einwohnern der großen Antiochia verübten Mord. Der Kaiser würdigte den Eifer des heiligen Mannes, that Buße und ehrte ihn mehr als zuvor. – Nach der Theilung des Weltreichs war Mailand zuweilen die Residenz der römischen Imperatoren, und es rivalisirte mit der Siebenhügelstadt selbst an Größe, Pracht und Zahl der Bewohner. Attila, der Verwüster, plünderte und verbrannte auch Mailand (um 450); Belisarius eroberte es wieder; 539 nahmen es die Barbaren zum zweitenmale. Longobarden behaupteten seinen Besitz, bis Karl der Große sie vertrieb. Zur Carolinger und in späterer Zeit blühte Mailand unter seinen Erzbischöfen, welche, im Mittelalter sich dem päpstlichen Ansehen widersetzend, als Häupter der Ghibellinen angesehen wurden. – Kaiser Friedrich der Rothbart hatte an Mailand einen entsetzlichen Schimpf zu rächen. Bei einem Aufstande der Bürger hatten diese seine Gemahlin gefangen genommen und genöthigt, auf einem Esel, verkehrt, den Schwanz statt den Zaum haltend, durch die Stadt zu reiten. Ja, der höhnende Uebermuth ließ die Scene in Marmor meißeln und als Gruppe auf öffentlichem Markte aufrichten. Schrecklich war des zornigen Barbarossa’s Strafe für die erlittene Schmach. Nachdem er Mailand bezwungen hatte, ließ er alle Einwohner mit auf den Rücken gebundenen Händen zu den Thoren hinaus peitschen, die herrliche Stadt plündern und der Erde gleich machen. Erst im Jahre 1171 erlaubte er, auf die Fürbitte des Papstes, ihren Wiederaufbau. Sie gelangte bald wieder zur Blüthe. Im 13ten Jahrhunderte schwang sich, während den Wirren des Reichs, das Haus Turriani zur Herrschaft über die Stadt empor, bis im Jahre 1313 Matthias Visconti jenes Geschlecht vertrieb. Dessen Enkel erhielt vom Kaiser die herzogliche Würde. Die Visconti erloschen schon 1402. Franz Sforza, eines Bauern Sohn, schwang sich unter den Stürmen jener Periode zum Herzoge empor, und von ihm stammen jene Fürsten, deren kriegerischer Muth und hoher Geist so vielen Einfluß auf die Schicksale Italiens gehabt haben. In späterer Zeit bemächtigte sich Frankreich, seine Erbansprüche
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/232&oldid=- (Version vom 19.11.2024)