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Jahr und wird fortwachsen in dem Maße, als sich der Ruf seiner Kraft immer weiter, allgemeiner ausbreitet. Eben so schreiten auch die Anstalten, welche durch vermehrten Besuch nöthig werden, jedes Jahr voran. Ein neues Hotel, mit prachtvoller, zur Aufnahme von Kurgästen aus den höchsten Kreisen geeigneter Einrichtung, Bellevue, steigt an der Allee wie ein Palast empor. Der Wasserreichthum wurde durch Erbohrung neuer Quellen vermehrt, der Bau neuer Badehäuser hat begonnen. Mehre neue Straßenzüge wurden angelegt, die alten bequemer hergestellt, und die umsichtige österr. Regierung spart keinen Aufwand, um die Frequenz dieses schon von der Natur sehr begünstigten Badeortes immer lebhafter zu machen.

Daß eine solche Gegend, wie die Gasteins, eine Menge der interessantesten Ausflüge darbietet, läßt sich voraussetzen. Freilich gehört ein rüstiger Körper und zu manchen auch ein schwindelfreier Kopf und überhaupt ein Mensch dazu, der sich, zufrieden mit dem Hochgenuß der gewaltigen, großen Natur, über physische Bedürfnisse und die Forderungen der gewohnten Bequemlichkeit hinwegzusetzen weiß. Eine der schönsten, wenigstens die besuchteste Parthie ist die das Gasteiner Thal hinauf in das Innere der Gebirgswelt. Eine Viertelstunde hinter dem Wildbad, wo die Katarakten toben, verschwindet aller Lärm; ruhig gleitet die Ache in meandrischen Windungen durch den Teppich des Grundes; ernster und grauer ragen die Berge in die vegetationslose Luftregion empor, ihre Stirn schon starkgefurcht mit Schnee; nur die untersten Gehänge haben noch Holzung. Aber nicht lange währt diese Stille; bald ertönt wieder, dem Pluto dienend, Hammerschlag und stampfendes Pochwerk. Die Ache, obschon immer kleiner werdend, rauscht wilder über die Gneissblöcke, ein Sturz wird mächtiger als der andere und ihr Donner erfüllt die steile Schlucht, in welche sich allmählich das Thal verwandelte. Dann erweitert es sich wieder, es wird abermals stille und man wird vom Frieden der Hochalpen empfangen. Alles Pochen und Hämmern hat sich von der Oberwelt in unterirdisches Dunkel zurückgezogen, das habsüchtige Leben und Treiben der Menschen kroch in der Berge Bauch. Nur der kreisende Adler ruft dich aus deiner Betrachtung zuweilen auf, oder das Rauschen der flüchtigen Gemse. So gelangst du zur Urgebirgswelt, wo du neue, andere Züge siehst. Kein Baum oder Strauch verbirgt mehr den nackten Fuß der Bergriesen; nichts lebt, als die Bäche, die den Gletschern und Schneefeldern entstürzen, die dich von allen Seiten umringen; nur zwei oder drei einzelne Sennhütten triffst du noch an, die, aus zusammengeschichteten Gneissplatten aufgerichtet und an Felsen derselben Steinart gelehnt, kaum bemerklich werden. Ein nobler Kranz von Eisfirnen bildet die Strahlenkrone des Thals. – Hier stehst du am Ende deiner Tour, wenn du nicht Alpenstock und Klettermuth mit dir nahmst; denn die Spitze des Thals verschließt die hohe Felswand, aus deren Spalten zur Seite die Bäche herab stürzen, deren Vereinigung die Ache bildet, welche bisher dir Führerin und Begleiterin war. Willst du noch höher hinauf zu dem Kreuze des Rathhausbergs mit dem Ausblick über die Alpenhochwelt und hinab in

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/222&oldid=- (Version vom 18.11.2024)